Mittwoch, 22. Februar 2006

Die Uno, die Schule und das Fragezeichen (1)

Was haben die Pisastudien, die UNO und die endlosen Reformen der deutschen Rechtschreibung gemeinsam? Ziemlich viel: Alle drei werden nicht von allen geliebt und sind zum Teil mehr oder weniger umstritten.

Gerade erst war Herr Venor Muñoz, Experte für Menschenrechte der UNO (aus Costa Rica), für acht Tage zu Besuch und hat sich mit unserem Bildungssystem beschäftigt - auf Einladung, versteht sich, denn die UNO kommt nicht "einfach so" zu Kontrollen vorbei. Sowas gehört sich nicht. Man will ja nur mal einen Blick drauf werfen und Empfehlungen aussprechen.

Aha. Auf Einladung also. War der Kuchen gut? Herr M. hat uns geraten, die Dreiteilung des Schulsystems zu überdenken. Ach nee? Auch fand er das mit der Integration und Chancengleichheit nicht so gelungen. Wie jetzt? Nicht gut? Das sorgte landauf und landab für helle Aufregung. Unter den Politikern und Lehrern und Bildungsexperten versteht sich, nicht beim Rest der Bevölkerung oder gar beim Rest der Welt. Ratlosigkeit macht sich breit im illusteren Kreise der Bildungsprofis: Was tun? Thy End of thy world is nigh!

Anderswo sieht man das schon deutlich etwas entspannter resignierter. Eltern und Schüler wissen spätestens seit Verlassen der Grundschule, dass es mit dem deutschen Schulsystem schon lange nicht mehr so weit her ist, wie man gerne glauben machen möchte. Alle anderen haben spätestens seit der Pisastudien den Verdacht, dass da irgendwas nicht so ganz astrein sein könnte. Nur was klemmt denn da? Und wie kann man das in den Griff bekommen? Die Märkische Allgemeine Zeitung bringt es denn auch auf den Punkt: "In einer Acht-Tage-Reise das deutsche Bildungssystem zu erkunden und dann wohlfeile Tipps zu geben, die allesamt nicht neu und seit Jahren in der Debatte sind, hat uns wirklich sehr weitergeholfen." In der Tat.

Ist hier etwa am Ende nicht die Lockerheit der Betroffenen im Umgang mit einem Problem zu erkennen, das gelöst werden kann? Ist hier vielleicht eher die tief sitzende Resignation zu spüren, die aus seit Generationen weitergegebener eigener Erfahrung mit dem deutschen Schulsystem resultiert? Viele meine erkannt zu haben, dass sich in Deutschland nur Leute an dem Thema versuchen, die entweder hoffnungslos idealistisch, blauäugig und fern der Realität in Elfenbeintürmen aufgewachsen sind oder aber - wie zum Beispiel bei der Reform der Rechtschreibung - von dem Thema so rein gar keine Ahnung haben. Oder beides. Ist diese Resignation am Ende gar weniger symptomatisch als pathologisch? Ist sie vielleicht sogar bewußt so herangezüchtet? Opium für's Volk!

Seit Jahren ist bekannt, dass die frühe Dreiteilung des Bildungssystems die Chancengleichheit stark unterminiert. Statt daran endlich etwas Grundsätzliches zu ändern werden private Eliteschulen eingeführt und für Sekten Extrawürste im Bildungssektor gebraten. Siehe das Beispiel mit den Angehörigen der "12 Stämme" in Bayern. Und damit man dann endgültig den Zusammenhalt im maroden Schulsystem verliert, doktern auf Befehl mal eben alle an den Regeln der Sprache herum, die davon am Wenigsten verstehen, bis selbst die amtliche Instanz, der Duden, zugeben muss, den Überblick verloren zu haben und im Moment kein stimmiges Regelwerk liefern zu können. Na schönen Dank auch!

Wer jetzt hofft, es sei mit diesen Katastrophen bereits getan und man könne sich ja jetzt nach Abgrenzen der Probleme daran machen hier zuzupacken, der hat noch nicht die ganze Tragweite der Probleme gesehen: Diejenigen, die das Problem lösen wollen, sind diejenigen, die noch durch eben jene, die das Problem geschaffen haben und/oder vor der Lösung zurückschrecken, auf genau dieses Thema vorbereitet und ausgebildet werden.

Schon mal mit angehenden Lehrern im Studium gesprochen? Schon mal Jungpolitiker zu ihren Lösungsansätzen befragt? Schon mal dabei gewesen, wenn beide aufeinander treffen und über das Thema "Bildungspolitik" diskutieren reden? Nein? Glückwunsch. Nach einem solchen Erlebnis braucht es nicht selten langwierige therapeutische Hilfe um seine soziopathischen psychopathischen Neigungen wieder in den Griff zu bekommen.

Es hilft wenig, wenn darüber debattiert wird, ob man ein System ändern sollte. Es bringt noch weniger, wenn Reformen und Änderungen fern ab der Realität am grünen Tisch geplant werden. Leute, geht mal in die Schulen von heute. Unangemeldet!

Fahrt mal nach Berlin Neukölln, nach Essen Krey, nach Hannover Linden oder wie auch immer die lokalen Problembezirke mit ihren Extrembeispielen gescheiterter Schulexperimente heißen mögen. Sprecht mit den 16jährigen Junkies, mit den Mädchen, die mit 15 bereits abgetrieben haben, mit den 12jährigen Gangleadern. Beobachtet, was in den Schulen los ist. Macht mal die Augen auf! Würdet Ihr etwa gerne in solche Schulen gehen? Ich nicht! Schaut Euch mal die Schulgebäude an. Und DA wollt Ihr unsere Kinder reinschicken? Und dann wundert Ihr Euch über Erfurt und glaubt das Problem durch Ändern des Jugendschutzgesetzes lösen zu können? Oder gar durch das Verbieten von Spielen? Leute, wacht auf! Kommt raus aus Eurem Elfenbeinturm!

Wann genau habt Ihr das letzte Mal wirklich erfahren, wie ein Unterricht heute tatsächlich abläuft? Wann genau habt Ihr selbst gesehen, was in einer 8. Klasse der Hauptschule abgeht? Habt Ihr Euch jemals unangemeldet eine Schule von innen angesehen? Schulen sind öffentliche Gebäude. Da darf jeder rein. Macht das mal. Einfach mal in Altagskluft in der großen Pause rein da und die Augen auf machen. Warum ist denn wohl der Lehrerberuf derjenige mit der höchsten Zahl Frührentner und psychischen Wracks? Was geht denn ab an den Schulen? Wisst Ihr das überhaupt, oder glaubt Ihr nur das, was in Euren selbst ausgedachten bunten Werbebroschüren steht?

Und dann wundert ihr Euch über sowas?

Wie welt- und realitätsfremd seid Ihr da in Euren Büros mit Euren tollen Titeln eigentlich inzwischen geworden? Wie viel Menschenverachtung haben wir von Euch noch zu erwarten?

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