Montag, 20. Februar 2006

Geht's noch?

Ist es nicht eigentlich traurig? Bei jeder sich bietenden Gelegenheit erklären sich Europa und Amerika gegenseitig en Detail, wie wenig sie von dem jeweils Anderen ganz allgemein halten und wie unreflektiert und dumm die jeweils anderen Ansichten doch sind. Das über dieses gegenseitige "Du bist doof!" in den jeweiligen Ländern jede Menge echter Mist liegen bleibt, ist den Streithähnen dabei offenbar weitestgehend egal. "Den Splitter im Auge meines Nachbarn sehe ich, aber den Pfahl in meinem eigenen Auge nicht" sagt ein berühmtes Sprichwort - wobei ich hier eher vermute, dass man eher ganz grundsätzlich dem Gegenüber in der Diskussion das Recht zur Kritik abspricht.

Seit dem zu trauriger Berühmtheit gelangten 11. September und dem sich daran anschließenden Vorgehen der Amerikaner gegen... Ja gegen wen denn eigentlich? "gegen Sadam Hussein und sein Terror-Regime" war und ist die offizielle Version der Befürworter, "Krieg um das Öl" entgegenen die Kritiker aus dem anderen Lager. Seit dem der Krieg im Irak losging, hauen sich jedenfalls beide Seiten mit wachsender Begeisterung gegenseitig allerlei Polemik und Brachialschlagzeilen um die Ohren. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht mindestens eins der beiden Lager dem jeweils anderen irgendeine infame Entgleisung, Fehlleistung oder schlichtweg Gemeinheit (bis hin zum Verbrechen) unterstellt, andichtet, konstruiert, ausgräbt oder sonstwie generell "mit viel Bambuhle die Sau durchs Dorf treibt". Natürlich wird dann sofort und ohne viel Umschweife mit gleicher Münze heimgezahlt. Beide Fraktionen nehmen sich in dieser Hinsicht absolut gar nichts. Wie im Kindergarten.

Während auf politischer Ebene vorsichtig versucht wird wenigstens den Anschein einer sich langsam wieder normalisierenden Situation zu vermitteln - oder sollten wir korrekter Weise eher von einem Verschweigen fortschreitender Verschlechterung sprechen? - habe ich gerade beim Blick auf die "Normalbürger" beiderseits des Atlantiks doch sehr stark den Eindruck, dass es jetzt erst so richtig losgeht. Während sich die Streithähne vorher auf die plakativen Großziele wie "Old Europe" oder "die Bush-Administration" oder so fixiert hatten, wird die Auseinandersetzung jetzt langsam doch eher persönlich. Es geht immer mehr um einzelne Personen und immer weniger um die Sache. Wo es doch noch um die Sache geht, weil sich gerade mal keine einzelnen Personen identifizieren lassen, die man angreifen könnte, wird dann um so verbissener schlecht geredet, was irgendwie schlecht zu reden ist.

Werden von der einen Seite aus die liberalen Freidenker insbesondere aus Deutschland und die dazugehörende "linke Presse" (zu der insbesondere Der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung und der Stern gezählt werden) als "ahnungslose Trottel" hart angegangen, so werden im gleichen Atemzug "die da drüben" von hier aus gerne als "die versnobbten, weltfremden, ahnungslosen und egozentrischen Imperialisten" begrüßt. Differenzieren? Niemals! Pauschalisierende Polemik ist ja nicht nur einfacher, sie macht auch mehr Spaß und bringt vor allem auch höhere Umsatzzahlen und Einschaltquoten in den Medien. Auf beiden Seiten des großen Teiches wohlbemerkt. Diskutieren ist out. "Keine Kompromisse - Gleich voll drauf!" Das ist die neue Form der Kommunikation. Immer druf! Feste! Feste!

Ich gebe es zu: Ich kenne einige Amerikaner. Ich rede häufiger mit ihnen und komme sogar recht gut mit ihnen klar. Ich habe auch schon unmittelbar mit Amerikanern zusammengearbeitet. Ich war auch schon ein paar mal "drüben" und fand es gar nicht so schlimm, im Gegenteil. Anders, ja, keine Frage, aber im Großen und Ganzen doch recht nett. So gesehen oute ich mich sozusagen als einer derjenigen, der mit "denen" kollaboriert.

Ich bin aus meiner kleinen Perspektiver heraus kritisch gegenüber beiden Seiten. Weder finde ich alles toll was die eine Seite tut, noch finde ich das Handeln der anderen Seite uneingeschränkt super. Ich halte nichts vom bedingungslosen und unkritischen "Hurra-Patriotismus", wie er besonders von den Anhängern der gegenwärtigen Regierung in den USA allen Menschen nahegelegt wird (Hey Jungs, jeder darf durchaus seine eigene Meinung haben, okay?) Ich halte aber auch nichts vom endlos wiederkehrenden Vorhalten alter Fehler und Probleme, statt bei der Lösung zu helfen, wie das gerne und häufig in Europa zu beobachten ist (Halten uns "die Amis" etwa immer noch allen Ernstes den Hitler vor?)

Bin ich damit alleine? Vielleicht. Ich glaube jedenfalls weder daran, dass eine gelebte Paranoia wirksam gegen Terrorismus schützt, noch ich bin der Meinung, dass die Haltung "Das ist ja weit weg, was geht mich das an und was können wir schon groß tun?" besonders produktiv ist.

Falls es jemand vergessen haben sollte: Die USA sind zwar wirtschaftlich gesehen "Mitbewerber", aber wer war noch gleich Exportweltmeister 2005? Im Großen und Ganzen ist die USA nicht "Der Feind". Genausowenig wie wir dabei sind den Angriff auf die USA vorzubereiten, genausowenig sind die USA dabei uns militärisch eins mitzugeben. Wer sich ein ganz klein wenig mit den (lästigen, ich weiß) Fakten beschäftigt, der wird erkennen, dass wir ohne einander im Prinzip gar nicht können. Trotzdem benehmen sich manche so, als wenn der Zweite Weltkrieg nie geendet hätte und man sich noch immer auf dem Schlachtfeld gegenübersteht.

Je häufiger man hier in Deutschland als "Faschist" beschimpft wird, weil man Deutschland ganz allgemein eigentlich gar nicht so schlecht findet, und je häufiger man als "imperialistische Sau" tituliert wird, weil man manche Dinge und Vorgehensweisen der Amerikaner irgendwie nachvollziehen kann, desto mehr frage ich mich, ob das Leben anderswo nicht viel schöner wäre. In Amerika ist es allerdings auch nicht viel besser: Wer Verständnis oder gar Sympathie für die europäische Denkweise verkündet, ist ein Weichei, unpatriotic (was mit "antiamerikanisch" übersetzt werden kann und damit eine der härtesten Beleidigungen für jeden Amerikaner ist) und hat generell mal so rein gar keine Ahnung. Darum finden viele von "da drüben" Kanada ja so sympathisch.

Gerade vor diesem Hintergrund kann das Ausrasten der Moslems wegen einer handvoll Karikaturen für uns alle global gesehen hilfreich sein, damit wir uns mal um das tatsächliche Problem kümmern. Letztenendes wollen "wir" doch auch nur unsere Ruhe. "Wir" das sind in diesem Moment alle Bürger mit Privatleben. Wir möchten morgens unsere Brötchen, unseren Kaffee, wollen unsere Kinder sicher in der Schule wissen, unsere Jobs, einkaufen und so weiter. Zu deutsch: Wir möchten in einer gesicherten und wohlhabende Wohlstandsgesellschaft nach westlichem Vorbild und Denkmuster leben. Und das möglichst ohne Angst vor irgendwelchen Quatschköpfen mit der Idee, dass Bombengürtel der Weg sind, um 30 Jungfrauen und das Paradies zu bekommen. (Und nur so am Rande: Sex mit Jungfrauen ist höllisch anstrengend und wird dramatisch überbewertet, aber das kann man nur wissen, wenn man vergleichen kann, gelle?)

Genau das möchten im Prinzip die Menschen auf beide Seiten des Atlantiks. Hüben wie drüben, hier wie dort. Ja, die grundsätzliche Denkweise ist unterschiedlich, aber wann genau haben sich zum Beispiel das letzte Mal Bayern und Preußen wirklich verstanden? Wer kann von sich schon sagen, dass er wirklich die Mentalität der Thüringer oder Sachsen nachvollziehen kann? Wann hast Du den letzten böse Spruch über irgendeine Bevölkerungsgruppe in Deutschland gerissen? - Immigranten schließe ich jetzt mal bewußt aus.

Diese Form des Unverständnises ist an der Tagesordnung. Es ist in bestimmten Grenzen "normal". Es gehört quasi dazu. Es kennzeichnet die Neugierde gegenüber dem Unbekannten und Ungewohnten. Mit Hass hat das nichts zu tun. Das ist einfach nur "herumblödeln", "Spott unter Geschwistern". Das gehört dazu, wie das Necken der Ärgern der eigenen Schwester. Was aber gerade bei einigen Leuten zwischen "uns" und den USA abgeht ist etwas völlig Anderes. Das ist blanker Hass. Das wiederum ist eher der Auslöser für brennende Botschaften, Kriege und Tote und nicht für gegenseitiges Vertrauen. Hass verbessert nicht das Leben, die Umwelt oder die Gesundheit. Hass sorgt auch nicht dafür, dass unsere Kinder gesund aufwachsen oder überhaupt eine Zukunft haben. Wann genau hat Hass das letzte mal wirklich etwas Produktives erreicht?

Wir sollten vielleicht mal kurz innehalten und uns überlegen, was genau wir da gerade pflegen und verinnerlichen.

(Update 15. März 2006: Eingereicht beim Karneval zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen)

2 Kommentare:

  1. Auch ich bin sehr einverstanden mit dem, was du da schreibst. Vor allem jetzt, wo sich offenbar sehr ernsthafte Konflikte mit Leuten anbahnen, die unsere Weltsicht von Toleranz und Freiheit ganz und gar nicht teilen, sollte sich "der Westen" nicht in kindischen Diskussionen und uralten Kamellen verzetteln.

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