Donnerstag, 14. April 2011

Untauglicher Versuch?

Mein neuer Lebensmittelpunkt ermöglicht es mir, die Bedürfnisse des täglichen Lebens mit dem Fahrrad zu beschaffen. Das ist grundsätzlich gut, weil ich so dazu komme, mich wieder an ernsthaftes Bewegen zu gewöhnen. So fuhr ich denn vorhin los, um den mich angähnenden Kühlschrank zu füllen und auch ein paar andere Dinge einzukaufen.

Ich erreichte ohne Herzinfarkt und Verkehrsunfall das Ziel meiner Konsumwünsche und verankerte mein Rad am Fahrradstand. Da ich aus zurückliegenden Erfahrungen weiß, wie kreativ manch Langfinger sein kann, schließe ich mein Fahrrad nicht nur ab, sondern auch an. Mit zwei Schlössern. Und da mir mehr als einmal der Sattel abhandenkam, ist auch der inzwischen mit einem Schloss gesichert. Teure Erfahrungen hinterlassen halt auch bei mir ihren Lerneffekt.

So ging ich denn meine Bedürfnisse befriedigen, was erstaunlich ereignislos verlief. Den Rucksack vollgepackt kam ich nach rekordverdächtigen 45 Minuten wieder raus. Ich schob den Einkaufswagen wieder zurück zur Sammelstelle. Dabei kam ich an dem Fahrradstand vorbei, wo auch mein Fahrrad meiner Rückkehr harrte. Offenbar hatte mein Fahrrad einen Fan gewonnen, was ich durchaus verstehen kann, denn mein Fahrrad gefällt mir sehr, warum also sollte es nicht auch anderen gefallen? Ob allerdings ausgerechnet diese Gestalt ein Autogramm wollte?

Der schlaksige Typ in seinen möglicherweise modischen, in jedem Fall aber sehr sehr teuren Sportklamotten war mir nicht nur wegen seines irgendwie heimlichtuerischen Verhaltens suspekt. Sein Cappy war hässlich wie die Nacht und bitte wer trägt heute noch Sneakers in kreischendem grün? Okay, über Geschmack lässt sich streiten, aber der ein wenig zu groß geratene Schraubendreher, mit dem er da an meinem Rad herumstand, machte mich dann doch etwas misstrauisch und mein Beschützerinstinkt meldete sich zu Wort. Andererseits... ich bin ja auch neugierig.

Neugierde siegt. Ich stellte den Einkaufswagen weg und beschloss, dass ich noch Zeit für eine Zigarette hätte. Ich stellte mich unauffällig so hin, dass ich genauso gut den dort ausgehängten Werbeprospekt hätte studieren können und beobachtete den sportiven Hauptdarsteller der heutigen Episode von "Jugend forscht". Offenbar hatte er mich als vollkommen ungefährlich abgehakt und wandte sich wieder meinem Rad zu.

Nun, vielleicht hätte ihm irgendwann irgendjemand erklären sollen, dass man heutzutage moderne Kabelschlösser ebenso wenig mit einem Schraubendreher und wildem Gefluche geöffnet bekommt, wie geschmiedete Steckbügelschlösser, aber hey, jeder macht seine eigenen Lernerfolge. Als er am Ende meiner Zigarette völlig frustriert dazu überging, sich am Sattel meines Rades zu vergreifen, war auch meine Geduld einigermaßen erschöpft.

Ich angelte mir mein Handy und wählte 110. Dem überaus freundlichen Herren am anderen Ende der Leitung erklärte ich einigermaßen belustigt die Situation. Unser Spitzensportler bemerkte inzwischen das Kabelschloss, das meinen Sattel sicherte, was seine Frustration deutlich steigerte. Ich gab am Telefon noch eine umfangreiche Personen- und Ortsbeschreibung ab und wies darauf hin, dass unser Profi wohl nicht mehr besonders lange verweilen würde, als in einem malerischen Akt epischer Choreografie links und rechts von mir zwei Polizisten wie aus dem Nichts heraus materialisierten.

Zu dritt standen wir nebeneinander, ich begrüßte die beiden freundlich und gab mich als "der Anrufer" zu erkennen. Mit schwer zu leugnender Belustigung sahen wir den zunehmend frustrierter werdenden Anstrengungen des Sportlers zu, doch wenigstens irgendwas von Wert vom Fahrrad entwenden zu können. Da war nur irgendwie nichts zu wollen. Aus Frust wollte er dem Besitzer - mir - dann doch wenigstens einen Denkzettel verpassen. Es ist ja schließlich eine Frechheit, der notleidenden Bevölkerung dieses unseren Landes nicht zu ermöglichen, das eigene Überleben durch Fahrraddiebstahl zu sichern! Diesen Protest muss man unbedingt dadurch mitteilen, dass das nicht entwendbare Fahrrad möglichst effektiv beschädigt wird.

Solche oder ähnliche Gedanken hegend trat er erst mal gegen mein Rad. Wir sahen uns das an und ich sagte zu den beiden Uniformträgern "Ich denke, nun ist es genug...", was die beiden Herren auch so sahen. Unser Spitzensportler holte gerade mit dem Schraubendreher aus und wollte ihn offensichtlich in den Sattel rammen. Einer der Uniformierten griff seinen erhobenen Arm, es gab ein kurzes, erstaunlich undramatisches Gerangel und unser verhinderter Fahrraddieb war ruhig gestellt. Zumindest körperlich. Handschellen sind da sehr hilfreich.

Der jetzt losbrechende Erguss an Beschimpfungen war schon erstaunlich:
Er: "Ihr schwanzlutschenden Faschistenbullen! Fickt lieber weiter eure minderjährigen Geschwister, statt harmlose Leute niederzuknüppeln, Ihr schwulen Fotzenlecker!"

Cop 1: "Faschistenbullen? Sie sollten besser den Mund halten, sonst kommen noch Anzeigen wegen Beleidigung oben drauf."

Er: "Du arschloses Pimmelsöhnchen einer lesbischen Pickelnutte! Du lutscht doch am Bahnhof jeden Schwanz für ein Parkticket!"

Cop 2: *mitschreibend* "War das 'Pimmelsöhnchen' oder 'Bimmelsöhnchen'?"

Er: "Dir pissesaufender Naziarschhure hat dein Vater doch die Bierflasche in den Arsch gesteckt, damit du zur Bullensau taugst! Dir gehört der Arsch zugenäht, damit Du nicht so aus dem Hals stinkst..."

Cop 2: *noch immer mitschreibend* "... 'Naziarschhure' ... 'Bullensau' ... weiter?"

Er (in meine Richtung): "Du pissgesichtiges Kapitalistenschwein! Nazi! Einen harmlosen Punk an die Bullen verpfeifen! Du Arschwichser! Dir schick ich die Kurden ins Haus!"

Cop 2: "...Arschwichser..."

Cop 1: "Los, rein da und Kopf zu." *stopft den Kerl in den Streifenwagen*
Beide kommen zu mir zurück. Ob ich Strafantrag stellen möchte. Klar, möchte ich. Ob ich den Herren im Streifenwagen kenne. Nein, kenne ich nicht. Meine Personalien angegeben, Strafantrag unterschrieben, beiden einen möglichst erträglichen Tag gewünscht, mich für die Unannehmlichkeiten, denen die beiden jetzt ja ausgesetzt sind, entschuldigt und mich freundlich verabschiedet.

Mit sehr gemischten Gefühlen fuhr ich meinen Einkauf nach Hause.



PS:

- Der Täter ist ebensowenig "Punk" wie ich.
- Der Täter ist "ohne Migrationshintergrund" und deutlich volljährig.
- Dem Fahrrad ist nichts passiert.
- Anzeige wird bzw. wurde erstattet wegen §§242/243 (Versuch), §§240/241, und §185 StGB.

6 Kommentare:

  1. Hmm, kreativ ist der Mensch offenbar gewesen...mal auswendiglernen. Lässt du dir jetzt eigentlich von der Versicherung noch das nun vermutlich nötige Zentrieren der Räder bezahlen?

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  2. Ich wusste doch IMMER schon, daß Adger 'n Punk ist. Undercover....

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  3. Also Beleidigung muss nicht, kann aber von Amts wegen verfolgt werden. Und wer trotz eindringlicher Warnung so vehement drauflos flucht, hat es nicht besser verdient.

    Ähnliches passierte einem Arbeitskollegen mal: Er stellt sein Rad an der S-Bahn ab um von da weiter mit ÖPNV zur Arbeit zu fahren. Bei seiner abendlichen Rückkehr sieht er, wie jemand versucht, das Rad zu knacken. Er geht hin, reicht ihm den Schlüssel und meint "Probiers mal damit" - sein Gegenüber wohl wenig helle "Oh, Danke". Der Groschen fiel da wohl Pfennigweise, denn es hat wohl ne Weile gedauert, bis der Typ gerafft hat, dass er den Eigentümer des Rades vor sich hatte ;-)

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  4. Du Armer, wohnst Du jetzt in Kreyenbrück?

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  5. Nein, bewaffnet muss ich noch nicht zum Einkaufen gehen...

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