Dienstag, 21. Oktober 2008

Lieber nichts sagen

ExplosionBei einem Sprengstoffanschlag auf die Bundeswehr in Afghanistan starben gestern zwei Soldaten, mehrere weitere wurden verletzt. Außer den Soldaten wurden auch einige Zivilisten, darunter Kinder, zum Teil schwer verletzt. Wie nicht anders zu erwarten geht sofort die Diskussion los, ob das nicht ein Signal sei, die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen ("Nach Selbstmordanschlag - welche Chancen hat der Afghanistan-Einsatz noch?" - N24, "Wir können nicht auf ewig bleiben" - Tagesschau), natürlich bevorzugt von solchen geführt, die weder außenpolitisch noch in Sachen Bundeswehr oder Militär insgesamt irgendeine Expertise vorzuweisen haben. Geschürt wird diese Debatte selbstverständlich von den Medien, denn Politiker aller Parteien würden das Thema am liebsten totschweigen.

Wie nicht anders zu erwarten war, berichten die Medien über diesen Anschlag. Nicht etwa, weil es der einzige wäre. Auch nicht gegen die Bundeswehr. Das ist wahrscheinlich jedem klar, der auch nur hin und wieder zu lesen bereit ist, was die stark gefilterte deutsche Presse veröffentlicht. Warum genau diese ansonsten extrem zurückhaltende Presse bereit dazu ist in für deutsche Verhältnisse ungewohnte Detailliertheit darüber zu berichten, erklärt sich von selbst: Quote.

Bemerkenswert aber die Reaktionen der Politik. Verteidigungsminister Jung unterbricht eigens seinen Urlaub, um vor Medien und Bevölkerung verkünden zu können, wie betroffen er über den feigen und hinterhältigen Anschlag ist, wie wichtig die Wiederaufbauarbeit Deutschlands im Raum Kunduz sei und wie sehr die Arbeit der Bundeswehr zur Verbesserung der Sicherheit der Bundeswehr beitrage. Wer den Film der Bundeswehr zum Einsatz in Afghanistan kennt, der weiß, in welcher "Tradition" die Linie des Verteidigungsministeriums gegenüber der Öffentlichkeit steht und wie wenig das mit der Wirklichkeit zu tun hat.

Darum ist es auch überhaupt nicht erstaunlich, dass der Verteidigungsminister vor der Kamera minutenlang herumlaviert und alles Mögliche - vielleicht mit Ausnahme des Wetters in Kandahar - betont und ausführt, als er die Frage beantworten soll, ob man nicht sagen könne, dass die deutschen Soldaten gefallen seien. Man sollte eine solche Debatte nicht führen, sagt er. Auch die Frage, ob die Bundeswehr häufiger mit Anschlägen zu rechnen habe, beantwortet er lieber mit Floskeln über Mitgefühl und die Beschreibung des Tathergangs, statt ganz klar zu sagen, dass die Bundeswehr jeden Tag mit Anschlägen konfrontiert ist.

Statt Farbe zu bekennen, statt Stärke und Rückgrat zu zeigen, sich zu seinen Männern und Frauen, zu deren Auftrag und den damit verbundenen Risiken zu bekennen und klar zu sagen, dass der Job in Afghanistan scheiße gefährlich ist, Opfer fordert und auch weiterhin Opfer fordern wird, aber dass er notwendig ist und im Moment alternativlos, windet sich ein sichtlich genervter Politiker im Wahlkampf hilflos, mit einer erdrückend entlarvenden Körpersprache vor der Kamera und möchte am liebsten allen sagen: "Lasst mich doch alle in Ruhe."

Das Schlimme daran ist nicht, dass deutsche Politiker mal wieder keinerlei Kreuz oder Mut haben. Das kennen wir (und verdienen wir wahrscheinlich) nicht anders. Die politische Kaste Deutschlands ist feige, opportunistisch und kurzsichtig und bemüht sich jeden Tag aufs Neue das unter Beweis stellen zu können. Nein, das Schlimme an Auftritten wie diesen ist, dass wir uns damit zufrieden geben.

2 Kommentare:

  1. Die Diskussion mit Jung kratz ja nur an der Oberfläche. Ich habe das Gefühl, dass die beiden um verschiedene Wortklauseln herumdiskutieren.
    Jung hält sich krampfhaft an eine Strategie, die die Bevölkerung dazu bringen soll, den Einsatz in Afghanistan zu billigen.
    Aber er hat auch Recht: Es ist kein reiner Kampfeinsatz und darauf darf man ihn auch nicht reduzieren, NUR erhält man auch nicht gerade das Vertrauen der Bevölkerung (zumindest meine nicht), wenn man die Gefahr hinter einem Wortschwall verschwinden lässt.

    Wir führen in Afghanistan einen Krieg. Es ist der moderne Krieg gegen den Terror. Der Krieg des 21. Jahrhunderts.

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  2. Nein, eine Asymetrische Auseinandersetzung ist nach dem Verständnis deutscher Politiker kein Krieg. Ein Krieg ist, was formal erklärt wird (Kriegserklärung) und zwischen Staaten und regulären Armeen stattfindet. Aufständische, wie die radikalislamischen Taliban, sind jedoch weder ein Staat noch eine reguläre Armee, darum kann gegen die auch kein Krieg geführt werden.

    Es ist auch nicht so, dass die Politik den Einsatz in Afghanistan auf einen "Kampfeinsatz" reduziert (Engländer und Amerikaner sprechen über die Gefechte im "Greenland Afghanistan" als die härtesten Gefechte seit der Korea-Krise). Im Gegenteil. Die deutschen Politiker reduzieren den Einsatz in Afghanistan auf einen reinen Logistik- und Restrukturierungsauftrag und geben sich vollkommen überrascht und empört, dass dort irgendjemand zu den Waffen greift.

    Oder wie es im Schlusssatz des Films der Bundeswehr heißt: "Deutsche ISAF-Soldaten sind mehr als nur eine Schutztruppe. Aufbauhilfe gelingt nur, wenn Tradition und Brauchtum der afghanischen Bevölkerung geachtet werden. Die Deutschen wissen das." - Wieviel Zynismus kann man bitte noch an den Tag legen?

    Welche Tradition und welches Brauchtum meint man denn da? Die Tradition des Drogenanbaus? Das Brauchtum der Entrechtung der Frau? Die Tradition, Familienstreitigkeiten mit Blutrache zu lösen? Welche dieser Traditionen will die Deutsche Politik von der Bundeswehr(!) geachtet und geschützt sehen?

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