Freitag, 15. August 2008

Die Macht der Angst

Bundestag PlenumDer Begriff "Politik" beschreibt die Kunst ein Gemeinwesen zu führen und zu erhalten. Der Wortstamm geht zurück auf das griechische "politika" und bedeutet sowohl "Staatsgeschäfte", "Angelegenheiten des Staates" als auch "öffentliches Wohl" und steht in direktem Bezug zum ebenfalls griechischem "polis", was "Stadt", "Stadtstaat" oder auch "Staat" bedeuten kann. So steht es in den Lexika. Irgendwann einigte man sich mal darauf, dass Deutschland eine Republik sein soll, die um eine freiheitliche demokratische Grundordnung herum aufgebaut wird (vgl. Art. 11, 18, 20 GG) und das wiederum betet einem jeder Politiker immer wieder gerne vor.

Das mit dem "freiheitlich" ist ja schon immer so eine Sache, denn "Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden" bereitet uns immer wieder ganz schön herbe Probleme. Die fortgesetzte Diskussion um Freiheitsrechte ist eigentlich ein Zeichen eines gesunden Staates. Aber wie ist das mit Demokratie? Das Wort kennt jeder, aber seine Bedeutung? Von den alten Griechen übernommen ist es eine Zusammensetzung aus "demos", was "Volk" und "kratein", was "herrschen" bedeutet. "Herrschaft des Volkes". Und hier fangen offenbar ein paar Mißverständnisse an.

Demokratie ist die Herrschaft durch das Volk, nicht die Herrschaft über das Volk. Letzteres scheint in Deutschland immer mehr der Konsens unter den Politikern zu sein. Nehmen wir als Beispiel den Wunsch des Volkes, mehr an der Politik beteiligt zu werden. Da wurde vor einiger Zeit zum Beispiel vorgeschlagen, dass die Bevölkerung doch ihren höchsten Repräsentanten selber wählen könnte. Wie bitte? Den Bundespräsidenten in unmittelbarer Volksabstimmung wählen lassen?

Selten war die politische Kaste in hellerer Panik. Das ginge nicht! Das ist unmöglich! Und überhaupt gibt es ja wohl schon mehr als genug Möglichkeiten, seine demokratischen Rechte auszuüben. Bürgerinitiativen zum Beispiel. Oder die Mitgliedschaft in Parteien. Oder wenn es denn unbedingt sein muss, dann auch Volksabstimmungen. Alles legitime Wege, in diesem unseren Lande Entscheidungen herbeizuführen. Mehr Demokratie braucht es nicht. 'Tschuldigung, es sollte natürlich heißen "mehr direkte Demokratie".

Nun war neulich in Berlin Stress. Da gibt es so einen Bach (die Spree) und dieser Bach hat Ufer. Diese Ufer finden die Bewohner extrem toll und nutzen sie. Das wiederum finden manche andere auch toll und wollen deshalb - weil sich da so viele rumtreiben und so viele das da so geil finden - ihre Bürotürme hinstellen. Das finden die, die da wohnen mal pauschal total doof. Darum wurde eine Bürgerinitiative gegründet und eine Volksabstimmung initiiert. Beides erfolgreich. Die Volksabstimmung ergab, dass eigentlich kein Aas die Büros da haben will.

Mit Ausnahme der Politiker und der Leute, die mit dem Bau der Häuser übel viel Geld verdienen. Darum setzte man sich zusammen - Politiker und Bauherren - und beschloss, dass dieser Volksentscheid ja gar nicht gelte und außerdem sei das Geld wichtiger. Da gab es ziemlich Stress, allerdings versuchen die Lokalpolitiker und Bauleute inzwischen, von dem Thema so gut es geht abzulenken und quasi "hintenrum" Fakten zu schaffen.

Jetzt könnte man sagen: "Na und, who cares?" Das Problem ist aber nicht diese Entscheidung, sondern das große Bild. Ein anderes Beispiel. Selbe Stadt, anderes Thema: In Berlin läuft zur Zeit ein Bürgerbegehren (aka: Volksabstimmung), bei dem es um die Verbesserung der Betreuung in den städtischen Kindertagesstätten geht. Im Kern: Mehr als ein Betreuer pro 2.500 Kinder wäre schon geil. Das ist für sich genommen nun nicht gerade ein dramatisches Thema, aber die Politiker kotzt es an. Die Forderung setzt die Politiker unter Druck Geld für etwas auszugeben, wofür sie kein Geld ausgeben wollen. Kindergärten werfen keinen Profit ab.

Erst das mit dem Ufer, jetzt das mit den Kitas? Ständig versaut einem der Bürger die Tour, weil irgendwem irgendwas nicht passt. Glücklicherweise kann man als Politiker ja auch auf die Bremse latschen. Man erklärt ganz einfach das Volk für "nicht zuständig" und zack, Problem gelöst und der Politiker kann wieder machen wie er das will. Toll, oder?

Funktioniert auch echt prima. Neulich erst ließ die politische Kaste über den Senat in Berlin dem Volk verbieten über die Rücknahme der Privatisierung der Wasserbetriebe zu entscheiden. "Das geht Euch nix an, basta." Aus Sicht der Politiker richtig und naheliegend und deshalb notwendig. Tatsächlich aber in erster Linie ein Reflex, um eigene Pfründe zu schützen. Schließlich geht es um Geld, das man in seine eigene Tasche umlenken kann. Aber wir erinnern uns? Demokratie?

Das Experiment "Berlin", in dem auf unterer Ebene mehr direkte Demokratie ausprobiert werden sollte, wird inzwischen von kaum einem Politiker mehr unterstützt. Egal wen man anspricht, jeder Politiker reagiert auf das Ansinnen "mehr direkte Demokratie" wie der Teufel aufs Weihwasser. Selbst Die Linke, die massiv für die direkte Demokratie eintritt, rudert verzweifelt zurück. Denn: Wenn der Bürger, der nach Ansicht der meisten Politiker sowieso für alles zu doof ist, selber Politik machen kann, wozu braucht er dann Politiker, die nach seiner Ansicht erst recht gar nichts können?

Die Angst regiert. Die Angst davor, plötzlich Rechenschaft ablegen zu müssen, Angst davor, plötzlich jemanden neben sich zu haben, der nicht so einfach bestochen werden kann, den man nicht mit Intrigen und Kungelei aus dem Weg räumen kann, sondern eine Macht, gegen die man nur mit Qualität und echter Politik bestehen kann. Gleichzeitig haben aber auch alle Beteiligten Angst davor zugeben zu müssen, dass genau das so ist, denn dann müssten sie sich dafür rechtfertigen, dass "Demokratie" im Verständnis der Algemeinheit und "Demokratie" im Verständnis der Politiker nichts miteinander zu tun haben.

Vielleicht sollte man sich das öfter bewußt machen, wenn man Politik in Deutschland nicht versteht. Es hilft, den Blickwinkel so zu verändern, dass Entscheidungen plötzlich nachvollziehbar werden, wenn man sich daran erinnert, dass es eben nicht um das Wohl oder Interesse der Mehrheit geht.

3 Kommentare:

  1. Nun ist es aber auch so, dass hinter vielen Bürgerinitiativen wiederum politische Lobbies stehen, die mit teuren, auffälligen Werbekampagnen ihre Ziele durchzusetzen versuchen. Ich erinnere da an das Trara um den Flughafen Tempelhof. Die Interessengemeinschaft hinter der Initiative für den Erhalt bestand aus einer kleinen, stinkreichen Gruppe von Privatinvestoren, die sich unbedingt ihren tollen VIP-Flughafen erhalten wollten. Es wurde eine riesige Werbekampagne aus dem Ärmel geschüttelt - und auf einmal waren lauter Bürger, die wahrscheinlich noch nie von Tempelhof geflogen sind, der Meinung, Tempelhof sei "ein Stück Berliner Geschichte" und müsse deshalb weiterhin als Flughafen betrieben werden. So viel zu "der gemeine Bürger ist nicht dumm".

    Im Endeffekt werden Volksentscheide nicht dadurch entschieden, wer die besseren Argumente hat, sondern wer die bessere Kampagne startet.

    Ich bin für direkte Demokratie, aber gegen Volksentscheide. Eine andere Implementierung der DD ist zB das Modell, in dem das Volk direkt Politiker aus ihrem Amt wählen kann, von denen es der Meinung ist, sie würden ihren Job nciht richtig machen. Wenn jetzt also unser heißgeliebter Thilo Sarrazin mal wieder Hartz-IV-Empfänger als minderwertige Schmarotzer bezeichnet, bräuchte es nur ein paar Unterschriften, und er wäre ganz schnell selber einer (naja, leider nicht, but you get my drift).

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  2. Werden die Bürotürme an der Spree jetzt gebaut?

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  3. Soweit ich weiß ja. Mit dem Argument, dass die Investitionszukunft der Stadt Berlin nicht wegen der Interessen einiger Weniger gefährdet werden dürfe, wolle man die Volksabstimmung zwar "zur Kenntnis nehmen", es aber ansonsten dabei belassen. Außerdem habe man ja bereits "weitest gehende Zugeständnisse" gemacht, zum Beispiel die maximale Bauhöhe reduziert und überhaupt werden den Anwohnern hier ja in Zukunft sehr viel lukrativere Arbeitsplätze angeboten, als die paar Buden...

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