Sonntag, 24. August 2008

Das Feuer am andern Ende

DoktorhutIn Sachen Bildung fixieren wir uns gerne auf die Probleme am unteren Ende der Skala: Vergessene Randgruppen, gescheiterte Integration, verkorkste Lehrerausbildung, undurchlässiges Schulsystem, Pisa, Rechtschreibreform - die Liste ist lang und wird immer länger, die Probleme sind dramatisch und nur schwer schön zu reden. Selbst unsere Bundeskanzlerin hält inzwischen die zunehmend lauter werdenden Stimmen der Straße für vielleicht doch nicht bloß reines Rauschen des Windes im Gebüsch vor dem Fenster.

Am anderen Ende der Skala sind die Probleme nicht minder gravierend. Als die Wirtschaft anfing "Soft Skills" und "Social Competences" als "wichtige Qualifikationen im Berufsleben" zu kennzeichnen und offen einzufordern, hätten uns eigentlich die Alarmglocken schrillen müssen: Wenn selbst in der Führungsetage angekommen ist, dass viele hochqualifizierte Fachkräfte völlig entstellte Krüppel im zwischenmenschlichen Umgang sind, wie schlimm muss es dann wohl wirklich sein?

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass der Grad der Sozialkompetenz oft in umgekehrter Abhängigkeit zum Grad der wahrgenommenen Qualifikation steht. Ich habe etliche Menschen in verschiedensten Positionen des oberen Drittels der Kariereleiter kennengelernt, die ihren Job rein fachlich gut machen, denen aber das, was einen Menschen zum Menschen macht, vollkommen abgeht. Der zwischenmenschliche Umgang, der vielen von uns durch den alltäglichen Kontakt mit echten Menschen beigebracht wird, muss diesen Führungskräften auf Seminaren mühsam beigebracht, der Wert und Nutzen analytisch erklärt werden.

Das Problem endet dort aber nicht. Megan McArdle stieß mich auf ein nicht minder dramatisches Problem, dass mit dem erstgenannten unmittelbar korreliert:
"Studenten nahe des Abschlusses ihres Studiums, ermutigt durch die Meinungen und Ansichten ihrer Professoren, tendieren dazu außergewöhnlich ungehalten zu werden, sobald sie auch nur glauben herausgefordert worden zu sein. Da niemand ohne mindestens einen Hochschulabschluss jemals das erforderliche Wissen überhaupt gemeistert haben kann, wird jeder Widerspruch automatisch als Zeichen von Böswilligkeit und Niedertracht verstanden. Sie marschieren überheblich in jede Diskussionen mit erfahrenen Fachleuten, bewaffnet mit nicht mehr als dem Wissen jener drei Bücher zum Thema, die sie vielleicht während des Studiums gelesen haben, der Meinungen ihrer Professoren und genug Arroganz, um eine Magnetschwebebahn von Moskau nach Wladiwostok anzutreiben. Meistens wird ihnen spätestens jetzt ihr eigener Hintern auf einem Silbertablett präsentiert. Schlimmer wird das alles aber noch dadurch, dass sie auch noch zu dumm dazu sind wahrzunehmen, was gerade überhaupt passiert ist. Am Höhepunkt dieses Leidens sind sie schlicht und ergreifend unfähig wahrzunehmen, dass ein Platz an einer guten Bildungseinrichtung noch lange nicht gleichbedeutend mit Allwissenheit ist."
Das Schlimme daran ist nicht der Wahrheitsgehalt der Beobachtung, sondern die Tatsache, dass dieses Verhalten den Studenten überall in der westlichen Welt an den "höheren Bildungseinrichtungen" antrainiert wird, während ihnen gleichzeitig die Fähigkeit abtrainiert wird, genau das bei sich selber wahrzunehmen. Selbstüberschätzung und Arroganz gepaart mit Dummheit und sozialer Inkompetenz als systemisches Resultat der gehobenen akademischen Ausbildung sollte uns mindestens ebensoviel Angst machen, wie die zunehmende Verblödung und Bildungsresistenz als Ergebnis gesellschaftlichen Zerfalls in eine Horde von vermeintlich unabhängigen Individualisten am gegenüberliegenden Ende der Gesellschaft.

8 Kommentare:

  1. Und genau diese Menschen ergreifen oder haben bereits höhere Positionen in Politik und Wirtschaft ergriffen bei denen Entscheidungen die eine vernünftige Entwicklung oder gar die Existenz anderer Menschen gefährdet.


    Genau diesen Faktor der antrainierten Arroganz und des Elitedenkens sehe ich als erheblich schuldig dafür an, warum Funktionäre so wenig Ahnung von den Leuten haben über die sie entscheiden.

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  2. das problem ist, dass ein gut absolviertes studium und ein ausgewogenes sozialleben in einem indirekt proportionalen verhältnis stehen, weil einfach für beides zusammen die zeit fehlt. ich kenne nur wenige menschen, welche beides auf die reihe bekommen, ohne dabei verrückt zu werden - der leistungsdruck ist einfach zu enorm...

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  3. Du willst allen Ernstes sagen, dass das Studium verhindert, sich elementare Fähigkeiten, wie Höflichkeit, gegenseitige Achtung (aka: Respekt), Höflichkeit, Einfühlungsvermögen und so weiter zuzulegen? Das meinst Du nicht wirklich Dein Ernst.

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  4. diese fähigkeiten legt man sich schon in der grundschule zu. zumindestens früher. also damals so.

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  5. das problem ist nur, das man sich dinge antrainieren kann, diese aber auch wieder verlernt.

    und zu studenten. da kommen dann so dinge bei raus wie: nein, kauf nicht den auspuff mit den 2 endrohren, dann kommen da ja doppelt so viele abgase raus.

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  6. "diese fähigkeiten legt man sich schon in der grundschule zu. zumindestens früher. also damals so."

    Falsch. Die Theorie der abschließenden Entwicklung des Charakters während der Kindheit ist spätestens dann wiederlegt, wenn man die Entwicklung eines Menschen vom Kind zum Teenager zum Erwachsenen durch die Pubertät und andere Zyklen hindurch beobachtet. Das war auch schon "damals" so und ist ganz bestimmt keine Erfindung der New World Order, des Kapitalismus oder der 68er-Generation.

    -mt

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  7. @adger: ähm... so krass, wie du das da formulierst meine ich das sicherlich nicht. die wirklichen hardcore-studenten, die ihren abschluss mit auszeichnung machen, sind aber oftmals wirklich "fachidioten", da sie nie die zeit hatten (oder sie sich genommen haben) mal über den (sozialen) tellerrand zu schauen...
    mhh... oder kann es vllt sein, dass arschlöcher einfach leistungsfähiger sind und die besseren noten bekommen?

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  8. Der zwischenmenschliche Umgang, der vielen von uns durch den alltäglichen Kontakt mit echten Menschen beigebracht wird, muss diesen Führungskräften auf Seminaren mühsam beigebracht, der Wert und Nutzen analytisch erklärt werden.

    Köstlich ... zu köstlich :D

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