Freitag, 16. März 2007

Einkaufen (3)

Aktion! Aktion! Aktion!Da macht man ein paar Tage Urlaub vom Schreiben und denkt sich, dass die Welt wohl auch ohne Bewachung klar kommen wird und was ist? Denkste! Der Wahnsinn schleicht überall herum und an manchen Orten galoppiert er einen blindlings über den Haufen.

Ich hatte das Vergnügen, die Kamera bei hinreißendem Wetter Gassi führen zu können und mich in Landschafts- und Pflanzenfotographie üben zu können. Nach den vielen Aufnahmen in dunklen Diskotheken eine willkommene Abwechslung. Trotzdem muss man hin und wieder einkaufen gehen, besonders dann, wenn sich zahlreicher und besonderer Besuch angekündigt hat.

Es soll Chili geben und so sammelte ich mir einen Einkaufswagen voller Zutaten zusammen, um ein herzhaftes Chili basteln zu können. 15 Minuten nach Beginn des Einkaufs waren alle Zutaten im Einkaufswagen versammelt. Natürlich waren in meinem Lieblingssupermarkt nur zwei Kassen auf und selbstverständlich waren die Schlangen bei beiden gleich lang - wobei die Betonung auf "lang" liegt. Ich hätte eine Münze werfen können, oder würfeln, das Resultat wäre bei meinem Glück identisch gewesen. Ich stellte mich bei irgendeiner an.

Es dauerte. Hinter mir stellten sich weitere Kunden an. Nach einigen Minuten stand plötzlich eine Dame (geschätzt) Ende 70 zwischen den beiden Schlangen und sah sich hilflos um. Da sie nur einen Blumenkohl und eine Flasche Maggi und so zwei oder drei Kleinteile im Körbchen hatte, war ich mal so richtig freundlich. Über meinen Einkaufshügel hinweg fragte ich die Dame, ob sie nur die paar Teilchen hätte? Sie nickte. Ob sie vielleicht vor wolle? Sie war sehr dankbar und ich hatte meine gute Tat für den Tag vollbracht.

Mit mir selbst zufrieden und in Gedanken versunken irritierte mich die plötzliche und heftige Kollision meines stehenden Einkaufswagens mit einem metallischen Hindernis doch sehr. Das Hindernis entpuppte sich als anderer Einkaufswagen einer von der Natur in Punkto Gewichtsverteilung und -ansammlung etwas benachteiligten, weiblichen Person mittleren Alters. Mit plärrendem Anhang. In vierfacher Ausfertigung.

Nun ist es ja nicht gerade so, dass Einkaufswagen und Schlangen an Kassen schwer zu übersehen sind, darum vermutete ich die Kollision sei eine Unachtsamkeit in Folge des Aufpassens auf den vierfachen Sack Flöhe, aber ich sollte mich irren. Wieder rammte sie ihre Einkaufskarre in die Flanke meines Vorratsfahrzeugs. Ich sah sie irritiert an und hielt dagegen. Als sie wieder Schwung holte, sah ich mich gezwungen, zumindest schon mal verbal Vorarbeit zu leisten:
"Ahem, aber wie Sie sicherlich sehen: Ich stehe hier bereits."
Das war ihr offenbar klar, wie sie mir in leicht keifendem Tonfall wissen ließ:
"Sehe ich, nu mach Platz da."
Ich sah zur Kasse neben mir. Die war zu. Daneben war nur die Wand. Wo sollte sie hin wollen? Neugierde siegt:
"Wollen sie durch?"
Die Antwort machte selbst mich einen Augenblick lang sprachlos:
"Quatsch, ich will vor!"
Ich runzelte die Stirn und sah sie mir an. Ihr Einkaufswagen war mit geschätzten 30 Millionen Kleinteilen bis kurz vor die maximal mögliche Beladungsgrenze vollgestopft. Ihr beängstigend vielköpfiger Nachwuchs schleppte auch noch diverses Gelorre mit sich herum, was nachhaltige Debatten an der Kasse erwarten ließ. Das war nun nicht die Situation, die mich nur unwesentlich ausbremsen würde, sondern wahrscheinlich dafür sorgen könnte, dass ich mit viel Glück nur wenige Stunden später den Laden verlassen könnte. Nein, sorry. Ich hatte noch etwas vor, also soll sie sich bitte hinten anstellen. Ich ließ sie das wissen:
"Es tut mir leid, aber ich möchte sie nicht vorlassen."
Offenbar brauchte sie einige Augenblicke, um meine Antwort und das von ihrer Wunschvorstellung diktierte Bild in Übereinstimmung zu bringen, was natürlich nicht gelang. Entsprechend war die Reaktion: Mein Einkaufswagen erbebte unter einer weiteren Wuchtattacke und ihr Kriegsruf untermalte das Szenario.
"Das ist ja wohl eine Unverschämtheit! Was bilden sie sich eigentlich ein!"
Graduell steigerten sich Lautstärke und Anteil vulgärer Ausdrücke in ihrer Haßtriade, bis sie sich schließlich laut keifend und mich angiftend der Aufmerksamkeit des gesamten Supermarktes sicher sein musste. Trotzdem sah ich mich nicht im Geringsten genötigt, ihrer Forderung auch nur ansatzweise nachzugeben, im Gegenteil. Varieté beim Einkauf ist toll! So etwas gilt es zu genießen. Auch an den Kassen ging es jetzt etwas langsamer voran, weil man sich nicht entgehen lassen wollte, wie der wandelnde Fleischklops eventuell das eigene Repertoire an verbalen Kraftausdrücken um neue Varianten bereicherte. Oder aber effektvoll platzte. Oder beides.

Nach einigen Minuten, in denen der wandelnde Klops schließlich dazu übergegangen war, laut keifend ihre Ähnlichkeit mit einem aufgescheuchten Puter möglichst weit zu steigern und ihren Anspruch, an der Kasse gefälligst vorgelassen zu werden, mit ihren Rechten als Frau und besonders als Mutter(!) einzufordern, gesellte sich am Rande der Marktleiter dazu und betrachtete die sich bietende Szene.

Klopsi - so nannte ich sie inzwischen im Geiste - ging inzwischen dazu über, meine beharrliche Weigerung als generelle Ablehnung der Rechte der Frau und als direkten Angriff gegen ihre Verdienste für die Gesellschaft zu bezeichnen und drohte mir, meinen Nachkommen und Vorfahren allerlei interessantes Ungemach an. Das war dann wohl der Augenblick, an dem sich der Marktleiter zum Eingreifen gezwungen sah. Er trat hinzu und fragte Klopsi, was denn wohl der Grund für den Lärm sei. Sie erläuterte es eloquent:
"Ich will an die Kasse!"
Ach was? Wer nicht? Warum stehen wir hier wohl alle? Dem Marktleiter mussten ähnliche Gedanken durch den Kopf gehen:
"Dann stellen sie sich doch an!"
Die Antwort machte alle Zuhörer sprachlos:
"Der hat die Alte da vorgelassen, dann hat der mich gefälligst auch vor zu lassen! Ich bin schließlich..."
Der Rest ging in einem unverständlich geblubberten Gebrabbel unter, das dem Marktleiter wohl die Schwere meines Vergehens und ihre selbstverständlich offensichtlichen Rechte bildhaft ausmalen sollte. Der Marktleiter starrte Klopsi mit wachsendem Erstaunen an. Als sie wieder dazu überging, rhythmisch ihren Einkaufswagen gegen meinen zu rammen, traf er eine Entscheidung.

Er griff ihren Einkaufswagen und sagte ihr, dass sie doch bitte die Einkaufswagen heile lassen möge. Klopsi war sichtlich verwirrt und ihr Mundwerk legte eine verblüffte Pause ein. Die wiederum nutzte der Marktleiter:
"Wissen sie was? Lassen sie den Einkaufswagen einfach hier stehen."
Er wandte sich den Kindern zu.
"Ihr gebt mir mal das, was ihr da habt, ja, danke, genau, sehr schön, ja, das da auch. Super."
Er legte allerlei Krimskrams oben auf den Einkaufswagen. Stille breitete sich aus. Dann ging er zu einer geschlossenen Kasse, öffnete die Absperrung und kehrte zurück.

Er stellte sich zwischen Klopsi und den Einkaufswagen und sagte mit fester und deutlich zu hörender Stimme:
"Und jetzt bewegen Sie sich! Solches Pack wie Sie will ich in meinem Markt nicht als Kunden haben! Raus hier! Sofort! Bevor ich ernsthaft böse werde!"
Ungläubiges Staunen überall. Auch Klopsi konnte nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Der Marktleiter schob sie durch die Kasse. Mit ein paar aufmunternden Worten bugsierte er sie durch die Kassenzone.

Klopsi war dabei, sich langsam wieder zu sammeln. Sie holte Luft. Er hob den Zeigefinger:
"Und wenn Du jetzt wieder anfängst zu keifen, dann setzt es was! Mund zu und raus hier!"
Mit diesen Worten ließ er sie stehen, ging zu einem seiner Mitarbeiter und gab ihm einen Auftrag, der selbst mir mehr als nur ein anerkennendes Grinsen entlockte:
"Den Einkaufswagen da, den stellen sie bitte so da vorne hin, dass er nicht im Weg steht, man ihn von der Kassenzone aus gut sehen kann. Ich räume das dann nachher weg."
Aufbrandender Applaus aus allen Richtungen trieb Klopsi aus dem Laden.

Zwar kam ich so fast 30 Minuten später aus dem Laden als geplant, aber das war es mir absolut wert.

5 Kommentare:

  1. Hallo Adger, danke für diese Großartige Story. Wenn ich nicht wüsste das es sehr skurile Menschen gibt und mir ähnliche Vorfälle auch schon passiert sind würde ich es fast nicht glauben. Grüße Mic

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  2. Aber doch nicht im "sunny State" Oldenburg ? Wohnort nur netter Menschen ??

    *cry*

    ( bestimmt bei Plus / Wechloy )

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  3. "Ich sehe doofe Menschen..."

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  4. klasse story, das verschönt einem echt den feierabend. kannst du nicht kurz verlautbaren lassen, um welchen supermarkt es sich gehandelt hat? ich würde dem marktleiter gerne meine besten glückwünsche zu dieser wahrlich gelungenen aktion übermitteln.

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  5. vielleicht sollte ich mal von einmal wöchentlich zu öfter übergehen beim einkaufen...will auch mal sowas erleben *lach*

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