Dienstag, 1. August 2006

Deutsch

Ab heute gilt sie nun, die neue alte, teils reformierte, teils restaurierte, deutsche Rechtschreibung. Der Versuch, die Schriftsprache per Dekret auf politischem Wege zu "modernisieren" geriet in Deutschland zum wahrscheinlich größten und publikumswirksamsten Debakel der Neuzeit (wohl nur übertroffen durch das Desaster der EU-Verfassung).

Nun mag man ja glauben, dass alles ganz einfach sei. Man kauft sich den Duden oder verlässt sich auf die Rechtschreibkorrektur von MS-Word und gut ist. Aber denkste. Eben genau das ist ein grober Irrtum, aber dazu später. Grundsätzlich gelten ab heute offiziell folgende Regeln:
  • Bei kurz gesprochenem Vokal wird das Wort mit Doppel-S geschrieben: Kuss, Fluss oder bisschen. Bei lang gesprochenen Vokalen bleibt es beim "ß": Gruß, Spaß oder Straße. Mit Doppel-S wird auch die Konjunktion 'dass' geschrieben. Das 'daß' entfällt.
  • Treffen drei gleiche Buchstaben bei Zusammensetzungen aufeinander, wird keiner davon gestrichen. Darum heißt es jetzt: Schifffahrt, Sperrriegel oder Zooorchester. Alternativ ist aber auch die Schreibung mit Bindestrich möglich, z.B. "Zoo-Orchester".
  • Ist der erste Teil eines Wortes ein Verb, wird in der Regel getrennt geschrieben. Zum Beispiel: "spazieren gehen". Auch Verbindungen mit dem Wort "sein", wie zum Beispiel "da sein" oder "dabei sein", werden getrennt geschrieben. In bestimmten Einzelfällen ist aber die Zusammenschreibung auch möglich. Zusammegschrieben werden kann bei übertragen gebrauchten Verbindungen zweier Verben, die als zweiten Wortteil "bleiben" oder "lassen" haben. Zum Beispiel "in der Schule sitzenbleiben".
  • Tageszeiten nach den Adverbien wie "gestern" oder "heute" werden großgeschrieben: "heute Mittag", "gestern Abend".
  • Einzelne Begriffe wie "pleitegehen" werden jetzt wieder klein und zusammen geschrieben.
  • Diese Reform "vereinfacht" die Kommaregeln. Bei Hauptsätzen, die mit "und" beziehungsweise "oder" verbunden sind, kann zur Gliederung des Satzes ein Komma gesetzt werden, muss aber nicht: "Andreas löst ein Rätsel (,) und Sabine malt ein Bild."
  • Bei Infinitivgruppen muss ein Komma nur dann gesetzt werden, wenn diese mit "als", "anstatt", "außer", "ohne" oder "um" eingeleitet wird. Zum Beispiel: "Sie öffnete das Fenster, um frische Luft hereinzulassen."
So, wer jetzt glaubt, das sei schon kompliziert und verwirrend genug, der hat die Rechnung ohne die deutsche Lust zur Streiterei gemacht. Zwar kann man über den "Rat für deutsche Rechtschreibung" und seine Arbeit denken wie man möchte, aber immerhin hat er nach jahrelangen Streitereien wenigstens ein Resultat vorgelegt, mit dem man "irgendwie" arbeiten kann. Und jetzt kommen die Verlage, vorne weg der Dudenverlag und das Verlagshaus Wahrig. Beide verlegen Wörterbücher der deutschen Sprache, beide nehmen für sich in Anspruch, die richtige Version zu haben.

Der Duden kommt in Zukunft nicht mehr in "schwarz auf weiß" sondern mit vier farbigen Markierungen, die neu, veraltet, alternativ / optional und empfohlen kennzeichnen. Wahrigs Wörterbuch hingegen kommt wohl mit schwarz und weiß aus, aber dafür gibt es in Massen Abweichungen im Innern des Regelwerkes zum Duden. Während der Duden zum Beispiel "sitzen bleiben" vorgibt, entscheidet sich Wahrig für "sitzenbleiben". Aber es gibt noch mehr Unterschiede: Fast Food (Duden) und Fastfood (Wahrig), Feedback (Duden) und Feed-back (Wahrig), Kommuniqué (Duden) und Kommunikee (Wahrig), sauber machen (Duden) und saubermachen (Wahrig) und so weiter.

Der Rat für deutsche Rechtschreibung ist übrigens der Meinung, dass Wahrig sich korrekt an die Neuregelung halte, während der Duden durch seine Empfehlungen das neue Regelwerk absichtlich unterlaufe. Im Verlagshaus des Duden versteht man die Aufregung nicht, sind doch schließlich die gelb unterlegten Schreibweisen "bloß" als Angebote und Entscheidungshilfen zu verstehen. Soso. "Angebote und Entscheidungshilfen". Ah-ja.

Aber auch die Regeln als solche lassen Schreiber wie Leser häufig ratlos. Beispiel Getrenntschreibung. Was mag der Schreiber gemeint haben, als er schrieb: "Sie sah mich viel versprechend an"? Auch die Worttrennung ist nicht eben eindeutig: "Frust-ration" kann schnell zur gerüttelt Ration Frust werden.

Jedenfalls ist eines sicher: Die Rechtschreibreform ist als solche zwar politisch "vom Tisch", tatsächlich wird sie uns aber noch eine ganze Weile begeistern. Aber immerhin: "Verbindlich" ist diese Rechtschreibung "nur" für Behörden und in Schulen. Alle anderen können schreiben, wie sie es für richtig halten.

Die Zeitungen machen es ja erfolgreich vor: Einige schreiben "alt", andere "neu", wieder andere "mal so, mal so" und wieder andere schreiben, als hätte es sowas wie "Rechtschreibkorrektur" nie gegeben.

(Quelle: AFP, Tagesschau)

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