Montag, 18. Juni 2007

Zahlenspiele (6)

Flagge PolenDie EU ist ja nun nicht gerade etwas, womit man sich jeden Tag auseinander setzt. Trotzdem geistern seit einigen Tagen drei Schlagworte durch die Presse: EU-Gipfel, Polen und Abstimmungsquote. Worum es dabei im Detail geht, verheimlichen die Medien weitestgehend und bleiben äußerst diffus bei der Beschreibung und Erklärung dessen, welche Abstimmungen eigentlich gemeint sind. Im Gegenzug wenden sie sehr viel Energie dafür auf, besonders uns hier in Deutschland aufzuzeigen, wie egozentrisch Polen doch handle und wie wenig es den Polen um die Gemeinschaft ginge.

Die wenigen Stimmen, die in den deutschen Medien aus Polen zu Wort kommen, sprechen davon, dass man einerseits die deutsche Übermacht in der EU verhindern wolle. Ein von Polen auf dem aktuell stattfindenden Gipfeltreffen vorgelegtes Papier soll belegen, dass Deutschland in mehr als dreiviertel aller "Blockadekoalitionen" bei den gegenwärtig gültigen Stimmverhältnissen eine Zentrale Rolle spielt. Andererseits bemüht sich Polen zu erklären, dass es ja im Kern gar nicht um Polen ginge, sondern um die Europäische Gemeinschaft insgesamt.

Wie hartnäckig sich Polen an dieser Frage festklammert, zeigt besonders die Aussage des polnischen Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski, der für seine Vision des Abstimmungsmodus im Europäischen Rat bereit sei "zu sterben". Aber worum geht es hier eigentlich? Um Geld und Macht, das ist klar, aber um was genau?

Es geht um die Abstimmungsverhältnisse im Rat der Europäischen Union. Polen streitet für ein Modell, das die bislang zur Errechnung der Stimmanteile in den EU-Entscheidungsgremien geltende, relativ komplizierte "Nizza-Regel" ersetzen soll. Stattdessen soll die Quadratwurzel aus der Größe der Bevölkerung die Anzahl der Stimmen ergeben. Das Europäische Konvent hat für die Europäische Verfassung (die übrigens nicht mehr "Verfassung" heißen soll, damit die Nationalstaaten keine Probleme wegen zweier geltender Verfassungen haben) allerdings ein anderes Modell zur Errechnung der Stimmanteile vorgeschlagen.

Das Modell des EU-Konvents setzt voraus, dass von den 345 Stimmen aller EU-Mitgliedsstaaten insgesamt 255 Stimmen für die Beschlussfassung erforderlich sind. Zusätzlich zu dieser Mehrheit muss die einfache Mehrheit der Mitgliedsstaaten (14 von 27) dem Beschluss zustimmen. Obendrein müssen auf Verlangen eines Mitgliedsstaates außerdem die Befürworterstaaten mindestens 62 % der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Nun hat aber nicht etwa Polen das Thema der Abstimmungen auf die Tagesordnung gesetzt, sondern die EU selber. Das Thema wurde auch nicht etwa aus purer Langeweile aufgetischt, sondern wurde wegen der EU-Osterweiterung notwendig. Es geht auch nicht um den Abstimmungsmodus, sondern um die Gewichtung der einzelnen Staaten. Nach dem vom EU-Konvent vorgeschlagenen Modell hätte Deutschland mit rund 82 Millionen Einwohnern 29 Stimmen (wie übrigens auch Frankreich, England und Italien, was so aus dem Stand wohl niemand erklären kann), Polen mit rund 38,6 Millionen Einwohnern 27 Stimmen. Legt man das polnische Modell auf Grundlage der gewichteten Quadratwurzelquotienten der Bevölkerungszahl zugrunde, hätte Deutschland 10 Stimmen und Polen 7.

Nun kann man die Mathematik bemühen, um zu beweisen, dass das vom Europäischen Konvent vorgeschlagene Modell zum Einen irgendwie willkürlich zu sein scheint und zum Anderen nicht die tatsächlichen Verhältnisse der Bevölkerungszahlen repräsentiert. Tatsächlich gibt es genügend Stimmen, die das Modell des EU-Konvents kritisieren. So war zum Beispiel Spanien anfangs sehr gegen dieses Modell und auch aus Skandinavien ist Kritik daran zu hören.

Soweit die graue Theorie. In der Praxis bedeutet das von Polen vorgeschlagene Verfahren, dass die Abstimmungsmacht an der Spitze zu Lasten von Frankreich, England und Italien reduziert wird, was am Ende eine Aufwertung des Einflusses der kleineren Staaten und damit auch Polens bedeutet. Der Vorschlag Polens ist ein mathematisch gerechteres Modell, das jedoch den politischen Machtverhältnissen innerhalb der EU nicht Rechnung trägt. Und genau das ist der Haken.

Es geht bei den Abstimmungen eben nicht nur um die reine Anzahl der Bevölkerung, sondern es geht um viel mehr. Da spielen Überlegungen eine Rolle, die mit der reinen Bevölkerungszahl gar nichts zu tun haben. Da geht es zum Beispiel um Exporte und Importe, um Bruttosozialprodukte und vieles mehr. Gemessen daran ist die Quadriga, bestehend aus Deutschland, Frankreich, England und Italien, das Zugpferd Europas und sie sind es, die deshalb für sich auch die Führung beanspruchen. Polen hingegen will am Ende auf deren Kosten ein größeres Stück vom Kuchen und eben diese "Großen" sehen nicht ein, wofür.

(Quelle: dpa, Ruhr-Universität Bochum)

1 Kommentar:

  1. tja ,noch vor 3 jahren fand man die wurzel ganz toll...

    http://www.zeit.de/2004/25/Essay_Kirsch?page=1

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