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Letztendlich haben die Entwicklungen und deren Bewertungen dazu geführt, dass alle Innenminister gestern der zentralen "Antiterrordatei" zugestimmt haben. Diese Datensammlung wird aus zwei Teilen bestehen. Einem "offenen" Teil, der allen Behörden zur Verfügung steht, und einem "verdeckten" Teil, der nur unter ganz bestimmten Vorraussetzungen den anfragenden Behörden mitgeteilt wird.
In den offenen Teil kommen wohl alle Informationen, mit denen man einen Menschen unmittelbar identifizieren kann: Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Geschlecht, Volkszugehörigkeit, Wohnort und so weiter. Allerdings werden dazu auch körperliche Merkmale (zB Narben, Tätowierungen), Fotos und Angaben über gesprochene Sprachen gehören. Diese Informationen werden der anfragenden Behörde immer automatisch vollständig angezeigt - sofern diese Informationen denn vorhanden sind.
Im verdeckten Teil werden dann offenbar die sogenannten "erweiterten Grunddaten" gesammelt. Dazu gehören Informationen über Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen, Verbindungen zu terroristischen Vereinigungen mit internationalem Bezug, Waffenbesitz, Telekommunikationsdaten (damit wird nicht einfach nur die Telefonnummer gemeint sein), Bankdaten (auch hier ist nicht nur die Kontonummer und das kontoführende Institut gemeint), Ausbildung (Werdegang und ausbildende Firmen, Schulen und Organisationen), Reisebewegungen (wann von wo nach wo) und die Religionszugehörigkeit.
Dieser Teil wird nur dann angezeigt, wenn die Behörde, bei der angefragt wird, die Weitergabe der Daten verfassungsrechtlich abnicken kann. Das bedeutet in der Praxis, dass die Behörde überprüft, ob es einen juristischen Grund gibt, der gegen die Weitergabe der Daten spricht. In aller Regel dürfte das wohl kaum der Fall sein. Diese Einschränkung fällt in jedem Fall weg, wenn ein "Notfall" vorliegt. Ein solcher "Notfall" wäre zum Beispiel das Androhen eines Anschlags. Eine "gegenwärtige konkrete Gefahr für Leib oder Leben", wie es im Juristendeutsch heißt, muß vorliegen. Liegt diese aber vor, sind alle Daten in jedem Fall unmittelbar zugänglich, offenbar auch dann, wenn die Weitergabe der Daten verfassungsrechtlich bedenklich wäre.
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Abwegig? Vielleicht. Das Bestreben, alle Informationen über alle Bürger allen Behörden jeder Zeit zur Verfügung zu stellen und jeden Bürger rund um die Uhr zu bewachen ist allerdings deutlich erkennbar. Die Debatte um die "fernabfragbaren" biometrischen Ausweise, die allumfassende Kameraüberwachung, das Aufweichen der Abhör- und Überwachungsvorschriften, Telefonüberwachungen, die Diskussion um Verbot von Verschlüsselung von Daten ohne Backdoor für Behörden und so weiter sprechen eine sehr deutliche Sprache.
Besonders hellhörig sollte man werden, wenn gerade diejenigen, die so hartnäckig und verbissen diese Veränderungen im Gefüge des Rechtsstaats fordern, zeigen, wie sie denn mit solchen Daten umgehen. Die CDU zeigt das gerade sehr eindrucksvoll in Brandenburg. Da streitet sich nämlich der Parteivorstand mit demjenigen, der die Internetpräsenz der Partei gepflegt hat. Und da sind einige sehr interessante Anschuldigungen im Gespräch.
Kurz gefasst geht es um den CDU-Generalsekretär Sven Petke und Landesgeschäftsführer Rico Nelte und den Internet-Unternehmer Daniel Schoenland. Schoenland behauptet, dass Petke ihn beauftragt habe, die Daten der Anwender zu sammeln und zu sichten, wie sich diese auf den Webseiten und im Zusammenhang mit bestimmten Informationssystemen bewegen. Das ist nicht ungewöhnlich, aber in diesem Fall jedoch fand diese Rückverfolgung nicht nur ohne Wissen der Betroffenen, sondern offenbar auch noch namentlich statt. Dazu kommt noch, dass Petke wohl Emails über Sammelpostfächer nach eigenem Ermessen weitergeleitet hat: Wer bestimmte Emails nicht bekommen sollte, dem wurden sie scheinbar nicht weitergeleitet.
Es klingt zwar sehr nach einem Possenspiel, aber es geht hier nur nicht um eine "Ortsgruppe" oder eine "kleine Splittergruppe". Es geht hier um den CDU-Parteivorstand eines Bundeslandes. Das ist recht weit oben im Machtgefüge dieser großen Volkspartei, die sehr viel Wert auf das "christlich" in ihrem Namen legt.
In dieser Kombination kann man ja schon fast davon ausgehen, dass mit den neuen tollen Datensammlungen der Bürger auf jeden Fall Blödsinn und Schindluder getrieben wird. Wenn "die da" schon mit ihren eigenen Leuten so umgehen...
Sehr schöner Artikel (auch oder grade weil ich nicht in allen Punkten zustimme ;-), aber - in Deutschland wurde kein Anschlag verhindert.
AntwortenLöschenKeine Bahnhofsüberwachungskamera, keine Schleppfahndung, keine Islamistenkonferenz, kein aufmerksamer Polizist oder Verfassungsschützer, keiner unserer Schutzmechansmen hat gegriffen, die beiden Libanesen haben ihre Bomben plaziert - und wir alle ein Riesenglück gehabt, daß die Kids keine Erfahrung im Bombenbau hatten und die Dinger einfach nicht explodiert sind.
"Aber der Fahndungserfolg!" ... war auch nur indirekt eine Folge der allgegenwärtigen Überwachung. Beide Terroristen hatten das Land bereits verlassen. Nachdem mehrere Tage alles ruhig blieb, kam einer zurück - und geriet dann in Panik, als die Bilder der Bahnhofsüberwachungskamera veröffentlicht wurden. Großer Erfolg? Oder muss man auch hier sagen: Einem echten Terroristen wär' das nicht passiert?
Aber ansonsten wie gesagt: Schöne Zusammenfassung des Gläsernen Bürgers '06/'07. Jeder möge sich mal überlegen, wie weit ein "Umfeld" denn wohl so gehen mag - und mit wem er (oder sie ;-) in letzter Zeit so alles mal was getrunken hat oder so...