Die Bundeswehr ist im Kongo. Genauer: In der Demokratischen Republik Kongo, denn daneben gibt es ja auch noch die Republik Kongo, die aber ein anderer Staat ist. Jedenfalls war dieser Einsatz ja am Anfang nicht so sehr im Zentrum des medialen Interesses angesiedelt. Zwar wurde noch einigermaßen darüber berichtet, ob denn nun (oder eben nicht) die Bundeswehr in den Kongo ginge und warum das wichtig sei und so weiter. Aber als unsere Jungs dann tatsächlich dort eintrafen, wurde es ziemlich still.
Man berichtete schmunzelnd über Probleme bei der Ausrüstung und - wohl in Ermangelung anderer Themen - über den Aufbau des Lagers und andere wichtige Tätigkeiten, aber das war den meisten Publikationen - wenn überhaupt - dann doch eher eine Randnotiz wert. Entsprechend gering und dünn war denn auch die Berichterstattung über die eigentlichen Wahlen.
Es kam zwar hier und da zu leichten Ungereimtheiten bei der Wahl und auch zu heftigen Demonstrationen mit gewalttätigen Ausschreitungen, aber letzteres kennen wir ja ausgiebig aus Berlin zum 1. Mai und aus Göttingen und so weiter. Kein Grund sich mit dem Thema weiter zu beschäftigen. Sollte man meinen.
Erstens waren diese Ausschreitungen offensichtlich bei weitem brutaler und ausufernder, als sich hier bislang herumgesprochen hat und zweitens ist noch gar nicht endgültig entschieden, wer denn nun gewonnen hat. Beides dürfte der Mehrheit hier im fernen Europa entgangen sein. Es sieht sehr danach aus, dass der aktuelle Amtsinhaber verlieren könnte. Alles hängt von der Wahlempfehlung einer großen Oppositionspartei ab, die die Stichwahl Ende Oktober maßgeblich beeinflussen wird. Entscheidet die sich für den Herausforderer, ist der aktuelle Amtsinhaber mit ziemlicher Sicherheit entmachtet. Zumindest auf dem Papier.
Genau das war aber so nicht vorhergesehen und deshalb scheint manchem zu dämmern, welches Süppchen sich dort in Afrika zusammenbraut. Entgegen aller strategischer und taktischer Vorausplanung hat nicht der eigentlich erwartete Kandidat und derzeitige (noch) Amtsinhaber Joseph Kabila, sondern möglicherweise - und von den Strategen so nicht vorhergesehen - sein Herausforderer Jean-Pierre Bemba gewonnen.
Der bisherige Machthaber muss deshalb wahrscheinlich sein Amt und damit seine Macht und seinen Einfluss und seinen Zugriff auf Finanzmittel und so weiter, aufgeben. Wie so häufig macht auch dieser Machthaber das nicht gerne. Wir haben hier in Europa am Beispiel Italien und dem Herrn Berlusconi erfahren, wie es aussehen kann, wenn jemand absolut nicht einsieht, dass er verloren hat. Wir waren bislang immer der Meinung, dass das ja schon ein schönes Possenspiel war, das die Grenzen des Zumutbaren stark strapaziert hat.
Nun, nur noch mal zur Erinnerung: Es geht hier um Afrika. Dort handelt man Probleme dieser Art anders ab. Grundlegend anders. Während sich hier bei uns politische Gegner auf der politischen Bühne bekämpfen, bekämpft man sich dort mit allen verfügbaren Mitteln. Die politische Bühne wird dabei eher als Leinwand zur Abbildung von Propaganda genutzt. Die echte Auseinandersetzung findet draußen, auf den wirklichen Schlachtfeldern, auf den Straßen und im Busch unter den bewaffneten Anhängern des jeweiligen Protagonisten statt, wo diese Probleme dann handfest "ausdiskutiert" werden.
Die Erfahrungen der Vergangenheit aus zig afrikanischen Staaten aus Gegenwart und Geschichte sollten uns ausreichend gezeigt haben, dass wir hier mit etwas zu tun haben, das ganz leicht bösartig eskalieren kann. Man erinnere sich an Simbabwe, an Südafrika, an Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste), an Somalia and den Sudan, an Ruanda und nicht zuletzt auch an die Geschichte des Kongo. Überall wurden und werden dort politische und ethnische Kontroversen in erster Linie mit unnachgiebiger und eskalierender Gewalt ziemlich endgültig, ausdauernd und entschieden gewalttätig geführt.
Der europäische Zuschauer ist davon völlig überrascht und denkt sich "Nun kommt doch mal zur Vernunft" und übersieht gerne, dass diese Form der Konfliktlösung dort soetwas wie überlieferte Tradition hat. Salopp formuliert: Man kennt das da eigentlich nicht anders.
Demokartie ist etwas, was in Afrika vergleichsweise "neu" ist. Die politischen Verflechtungen sind dort historisch über Generationen gewachsen. Die tatsächliche Macht liegt oft in der Hand regionaler Stämme oder Großfamilien, die nahezu autark und ohne größeren Kontakt zu weit entfernt liegenden, theoretischen Machtzentren tun und lassen, was sie gerade für richtig halten. Das kann sein was man in der Hauptstadt möchte, muss aber nicht. Loyalität gegenüber den Machthabern oder genauer, gegenüber einzelnen Personen(gruppen) ist dort völlig normal. Loyalität gegenüber dem Amt ohne Ansehen des Amtsinhabers eher unbekannt und die Ausnahme.
Das System der isoliert und im Eigeninteresse handelnden Könige, Warlords und Regionalfürsten zieht sich selbst heute noch durch nahezu alle schwarzafrikanischen Regierungssysteme. Selbst in solchen Staaten, die als weitestgehend erfolgreich dem Westen angegliedert betrachtet werden, erlebt man immer wieder entsprechende "Überraschungen".
Man erinnere sich in diesem Zusammenhang nur an Nigeria, wo jüngst scheinbar wahllos Mitarbeiter westlicher Firmen entführt und wieder freigelassen wurden, um die Interessen lokaler Splittergruppen durchzusetzen. Nur weinige Monate zuvor war es dort zu heftigen militanten Auseinandersetzungen gekommen.
Hört man das Wort "Putsch", denken die meisten sofort an irgendeine Militähunta, die in Afrika oder allgemein in einer anderen "Bananenrepublik" die Macht ergreift. Warum denken wir wohl ausgerechnet Afrika? Weil wir uns an - zum Beispiel - Ghana erinnern. Wir haben auch Idi Amin nicht vergessen, selbst wenn wir uns nicht unbedingt aus erster Hand an die Geschehnisse erinnern.
Und nun ist im Kongo die Lage so, dass zwei rivalisierende Machtblöcke um die Macht streiten, und unsere Bundeswehr steht dazwischen. Joseph Kabila hat zugriff auf das organisierte Militär des Landes, unter anderem auf die Präsidentengarde und auch deren Ausrüstung. Und dazu gehören auch mehr als nur ein paar Kampfpanzer. Seine Truppen sind ihm gegenüber loyal und nicht etwa - wie wir es erwarten - dem Amt, das er inne hat. Deshalb wird auch die Präsidentengarde ab sofort nicht etwa mehr als Verbündeter, sondern als akute Bedrohung verstanden - eine völlig unerwartete Bedrohung, die durchaus schwerste Waffen ins Feld führen kann.
Dazu kommen noch die ungezählten und nicht abschätzbaren Anhänger, die Joseph Kabila mobilisieren kann - und er ist bereits dabei, die Propagandamaschinerie anzuheizen. Im Kongo kursieren offensichtlich gefälschte Bilder, auf denen toten Polizisten kurzerhand Uniformteile der Präsidentengarde per Fotomontage verpasst wurden. Verteilt werden diese Bilder gezielt von Bemba-Anhängern im europäischen Ausland, besonders aus Brüssel. In Kinshasa, wo Bemba teilweise mehr als fünfzig Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte und Kabila im gleichen Maß gehaßt wird, erzeugen solche Bilder genau die gewünschte Wirkung.
Die Lage wird zunehmend riskant und es ist nur zu realistisch anzunehmen, dass unabhängig vom tatsächlichen Ausgang der Stichwahl hinterher Ausschreitungen zu erwarten sind. Die Frage ist, welches Ausmaß sie Annehmen und ob die Schutztruppen aus Europa die Lage unter Kontrolle halten können.
Ganz ehrlich? Ich würde zur Zeit nicht darauf wetten.
(Quelle: FAZ)
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