Donnerstag, 4. März 2010

China und das Internet - Wussten Sie schon...?

Wenn ich mich mit anderen über Asien unterhalte, speziell über China, begegne ich überwiegend der Überzeugung, dass Chinesen im Prinzip genau so "sein" müssten, wie wir Europäer, dass sie bloß das Pech haben, nicht in einer Demokratie zu leben. Darum müsse "man" (gemeint ist hier wohl "der Westen") den armen, unterdrückten Chinesen helfen. Wenn ich darauf vorsichtig entgegne, dass gerade wir, die hier in Deutschland aufgewachsen sind, meistens weder Ahnung von der Mentalität, noch eine Vorstellung davon haben, wie das Leben in China tatsächlich funktioniert, sind die Reaktionen für mich vorhersehbar: Sie reichen von Ablehnung und Unglauben über Bedauern ob meiner Ignoranz und meines Unwissens, bis hin zur Unterstellung, dass ich ja ein Gegner von Demokratie und Menschenrechten sein müsse.

Ich glaube keinesfalls, dass ich ein "Kenner" oder "Experte" oder gar "Insider" bin, was speziell China angeht. Aber ich glaube, dass ich mir im Laufe der Jahre ein gewisses Begreifen darüber angeeignet habe, wie gewaltig die Unterschiede zwischen den Kulturen und deren Weltanschauungen sind und wie viel auf beiden Seiten über den jeweils anderen noch zu lernen ist. Gerade vor dem Hintergrund, dass China auf dem Weg ist zu einer, wenn nicht sogar zu der, Weltmacht aufzusteigen. Ohne Grund diskutieren Politiker und Militärs in den USA bestimmt nicht in zunehmender Offenheit darüber, wie zukünftig mit China umzugehen ist und was dieser Aufstieg für das geopolitische Gleichgewicht der Zukunft bedeutet.

Erst vor einigen Tagen (okay, etwas mehr als eine Woche ist es schon her) hatte ich eine Unterhaltung mit einem Bekannten darüber, welche Rolle und Bedeutung das Internet in China heute wohl haben mag. Mein Gesprächspartner wies darauf hin, dass, gemessen an der Gesamtbevölkerung, die Anzahl der Internetnutzer in China vergleichsweise klein sei. Wir fanden (dem mobilen Internet in der Hosentasche sei Dank) heraus, dass Mitte 2009 knapp 26% der Einwohner Chinas Internetuser waren. Zum Vergleich: In Deutschland wurde die Zahl 2009 auf etwas mehr als 67%, in den USA auf mehr als 74% der Bevölkerung geschätzt. Im Vergleich klingt das prozentual wenig. Allerdings wird gerne die Größe ignoriert. In Deutschland leben nach aktuellen Schätzungen knapp 82 Millionen und in den USA fast 309 Millionen Einwohner. In China leben hingegen 1,3 Milliarden Menschen, von denen mehr als ein Viertel das Internet benutzen und das wiederum sind fast so viele Menschen, wie in den USA und Deutschland zusammengezählt leben, nämlich ungefähr 338 Millionen Chinesen, Tendenz deutlich steigend.

In unserer Unterhaltung konnten wir die Frage schlussendlich nicht befriedigend beantworten, welche Rolle das Internet im Alltag in China spielen mag. Dazu waren die Informationen zu vielfältig, widersprüchlich und auch zu schlecht zu überprüfen. Aber Phänomene wie zum Beispiel die professionellen "Goldfarmer" in WoW und auch die wahrscheinlich auf Hacker aus China zurückgehende Attacke auf Google neulich ließen uns vermuten, dass wir die Bedeutung aus unserer Perspektive heraus wahrscheinlich deutlich unterschätzen.

Diese Unterhaltung hätte ich bestimmt bald wieder vergessen, wenn heute nicht in der New York Times ein Artikel erschienen wäre, der - oh Wunder der Choreographie - sich mit diesem Thema beschäftigt, wenn auch mit einem Aspekt, von dem ich nicht einmal ansatzweise vermutete, dass der eine Rolle spielen könnte: renrou sousuo yinqing - Sinngemäß übersetzt "Suchmaschinen für menschliches Fleisch".

Auch wenn der Titel es vermuten lässt: Es geht dabei weder um Organhandel noch um die Suche nach Prostituierten oder Kannibalismus. Es geht in dem Artikel um einen Aspekt sozialer Vernetzung, Interaktion und Kooperation, gegen den mir "Anonymous" wie ein unbedeutender Nebeneffekt aus dem Tollhaus pubertierender Jugendlicher vorkommt. Der Artikel ist unbedingt lesenswert, denn er eröffnet eine - zumindest mir - völlig neue Sichtweise darauf, wie die ins Internet hineinwachsende Bevölkerung Chinas "tickt" - und was wir von ihr in Zukunft vielleicht zu erwarten haben.

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