Mittwoch, 26. Dezember 2007

Jammern zu Weihnachten

Nicht Jammern - No WhiningNatürlich sind die zurückliegenden Feiertage immer eine willkommene Gelegenheit, sich mit der gesamten Verwandtschaft anzulegen, sich rund um die Uhr hemmungslos zu betrinken oder auch pauschal jedem auf den Sack zu gehen, der einem gerade einfällt. Manche machen sich auch einfach nur ruhige Tage und entspannen. Wieder andere rekapitulieren - je nach Erinnerungsvermögen - die Woche oder das Jahr oder das Leben oder irgendeinen Film. Insgesamt läuft Weihnachten aber auf drei Kernaspekte hinaus: Fressen und saufen, sich mit anderen anlegen und jammern.

Fressen und saufen müssen wir nicht diskutieren. Man schaue einfach auf die Anzeige der Waage und das Thema ist durch. Sich mit anderen anlegen ist weit gefasst. Wer nutzt nicht die Gelegenheit zu Weihnachten die letzten Intrigen der Familie und Verwandtschaft oder des näheren und weiteren Bekanntenkreises zu aktualisieren oder gar zu starten? Nicht wenige Leute, mit denen ich in den letzten Tagen sprach, scheinen das gar zum Hauptaspekt dieser "besinnlichen Zeit" erkoren un haben.

Und dann das Jammern. Das können wir ja nun besonders gut. Von Omas "haaach, der Hermine ihr Alfons hat es ja so schlimm mit der Galle und mir gehts ja gar nicht gut" bis hin zum immer wieder passend einzustreuenden "Scheiße, schon wieder alles teurer geworden" ist die Liste des Jammerns lang und umfasst Pflichtteil und Kür. Wer nicht weinigstens einmal über die Politik, das Geld, das Wetter, den Job, die Gesundheit oder das eigene Beziehungsleben jammert, wird meistens schräg angesehen und gilt nicht selten als Außenseiter und Sonderling.

Die Messlatte wird dieses Jahr zu Weihnachten durch Politik und Wirtschaft besonders hoch gelegt. Den Anfang macht Bundeswirtschaftsminister Michael Glos von der CSU. Er sagt (in der Zeit):
"Es gibt keine Dankbarkeit für die erreichten Erfolge."
Recht hat er! Für welche Erfolge sollte man denn auch dankbar sein? Gibt ja zur Zeit so viel Positives, dass man schier überfordert ist sich zu entscheiden, wofür man denn nun als erstes dankbar sein soll.

Renate Künast von den Grünen legt nach. Sie beschwert sich über die Märchenstunde der Regierung und orakelt das Jahr der Wahrheit:
"Ich fürchte, wir werden auch Ende 2008 noch nicht genau wissen, was Merkel will, aber wir werden definitiv erkennen, was sie nicht kann und deshalb nicht will."
Genau! Weil nur echte Politiker wollen, was sie nicht können! Wer nicht will, was er nicht kann, ist eine Memme!

Und dann die armen, geschundenen Raucher. Überall werden irgendwelche Kampagnen gestartet, um die armen, armen, unterdrückten Raucher zu schützen. Sehet, ihr Nichtraucher, ihr vernichtet Arbeitsplätze und Kulturgut! Das Ende der Welt ist nahe! Wer nicht raucht, ist ein Wirtschaftssünder! Und so weiter. Blah blah blah. Wenn man Raucher und Emos miteinander kreuzt, erhält man das penetranteste Jammerdestilat seit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren.

Natürlich - welch Überraschung - wird auch 2008 mal wieder hier und da "moderat" an der Preisschraube gedreht. Preisanhebungen um die 20% bei Energie und Gas, Benzin, Lebensmitteln, Alkohol, Bekleidung, Gastronomie... äh... eigentlich überall sind angekündigt und werden sich dezent bemerkbar machen, denn eins wird mit einiger Sicherheit nicht steigen: Das Gehalt. Darum schimpft nicht auf die Wirtschaft, denn - so BDI-Chef Thumann:
"Wir Unternehmer und Manager orientieren uns an klaren Werten. Moral lässt sich nicht in Zahlen gießen, aber wir folgen dem Leitbild des ehrbaren Kaufmanns"
Was wohl in etwa soviel heißt wie "ihr seid doch selber Schuld!"

Wen wundert es da, dass unsere Grundrechte erst abgeschafft und dann verkauft werden, an die Musikindustrie, die nämlich so hartnäckig über das Scheitern ihres verkorksten Geschäftsmodells jammert, dass man selbst auf EU-Ebene langsam den Mist glaubt, den diese Leute erzählen. Darum diskutieren bereits zwei Ausschüsse die Ideen der Medienindustrie, nach dem ab sofort alle Internetkommunikation durch Firmen vollständig überwacht, kontrolliert und gefiltert werden soll. Und es ist doch toll, wenn man sich rühmen kann, 25.000 Strafanzeigen erstattet zu haben.

Was gibt es noch zu Jammern? Ach ja, Urheberrecht war ja das Stichwort. Die Ägypter haben jetzt auch die Faxen dick mit dem ewigen Geklaue ihrer Ideen. Wer zukünftig einen Steinhaufen mit geraden Seiten aufschichtet, sollte daran denken, dass er das nicht so ohne Weiteres "Pyramide" nennen darf, denn die Ägypter sind dabei, sich darauf die weltweiten Urheberrechte zu sichern. Wenn das durchkommt, darf man bald für seinen Schutthaufen hinterm Haus diverse Euro nach Ägypten überweisen. Von wegen Kopien antiker Monumente und so.

So, das dürften genügend Gründe zum Jammern sein. In diesem Sinne: Wünsche frohes Fest gehabt zu haben!

(Quelle Spiegel, 2DF, ARD, Netzeitung)

3 Kommentare:

  1. mhh... über sylvester bin ich in finnland - vllt stell ich da gleich nen asylantrag und lass das elend hier hinter mir ^^

    AntwortenLöschen
  2. @blablam wo kann man dann deine Erlebnisberichte nachlesen? Skandinavische ... Länder interessieren mich ^^.

    @adger dir noch weiterhin schöne Tage :) und super rüberlatschen ins 08.

    AntwortenLöschen
  3. Jammern ist Pflicht. Märtyrer spielen die Kür. Aber das hilft nicht wirklich weiter - jedenfalls meistens. Dann kann mans auch gleich bleiben lassen...

    Dir Frank (und allen anderen Mitgliedern und Mitlesern der Herde) nachträglich ein frohes Weihnachtsfest.

    In der aktuellen Ausgabe der c't schließt das Editorial mit einem aufschlussreichen Satz des Chefredakteurs und er drückt ziemlich genau das aus, worüber ich derzeit 'jammere':

    "Wir wünschen allen Lesern ein frohes Fest und einen guten Rutsch ins Jahr 1984!"

    AntwortenLöschen

Bedingt durch die DSGVO müssen Kommentare zu Beiträgen der Tapirherde manuell freigeschaltet werden, um um der Veröffentlichung von Spam-, Hass- oder sonstiger unerwünschten Kommentaren vorbeugen zu können. Die Veröffentlichung eines Kommentars kann deshalb ein wenig dauern. Sorry dafür.
Wenn Sie Beiträge auf Tapireherde kommentieren, werden die von Ihnen eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. die IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Weitere Infos dazu finden Sie in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.