Mittwoch, 29. November 2006

Deutschland, Afghanistan und die Natopartner

DenkmalJaap de Hoop Scheffer, Generalsekretär der Nato sprach kurz vor dem Natogipfel in Riga (Lettland) deutliche Worte in Bezug auf die Situation in Afghanistan:
"So sehr wir Kampftruppen brauchen, die auch den Wiederaufbau absichern können, so wenig können wir uns Wiederaufbau-Armeen leisten, die nicht kämpfen können." "Es ist inakzeptabel, dass bei unserem Einsatz im Süden Afghanistans immer noch 20 Prozent der nötigen Soldaten fehlen."
Im Süden des Landes nimmt der Widerstand der Taliban zu und es kommt vermehrt zu heftigen Gefechten. Auch von Deutschland wird zunehmend deutlich gefordert, Soldaten in den Süden zu schicken und sich auch an den - wie es die Nato-Führung umschreibt - "schwierigen Aufgaben" zu beteiligen, damit der Einsatz in Afghanistan ein Erfolg wird. Insgesamt geht es um ungefähr 2.500 Soldaten, die dauerhaft im Süden des Landes fehlen.

Unsere Bundeskanzlerin, die Tante Angie, will in Riga klar machen, dass eine dauerhafte Verlegung deutscher Soldaten vom Norden in den Süden nicht akzeptabel sei. Nach Auffassung der Bundesregierung ist es nicht angemessen, wenn der Norden von den deutschen Soldaten vernachlässigt wird, damit im Süden bei Kampfeinsätzen geholfen wird. Tante Angie will sich deshalb auch weiterhin für eine "kluge Verbindung von Sicherheit und Wiederaufbau" einsetzen. Deutschland hat nach ihrer Ansicht mit den bis zu 3000 deutschen Soldaten, die im Norden des Landes statoniert sind, "einen Ansatz, der militärische Kraft mit politischem Aufbau und Entwicklungshilfe verbindet".

Das Problem an der Sache: Die anderen Natopartner, wie zum Beispiel die USA, Kanada, Großbritanien und Dänemark sehen das etwas anders. Während unsere Soldaten in relativer Ruhe Sozialarbeiter spielen können und so ohne großes Risiko und ohne sich größeren Gefahren auszusetzen ihre Erfolge einfahren können, die ihnen schon beinahe in den Schoß fallen, müssen die anderen Natopartner einen hohen Blutzoll zahlen, um im Süden auch nur annähernd erfolgreich zu sein.

Die Krise in Afghanistan droht auch zu einer Krise der Nato insgesamt zu werden und besonders für Deutschland scheint die Bereitschaft Opfer zu bringen zu einer Art Meßlatte für die Zukunft zu werden. Nicht ganz unberechtigt wurde von einigen bereits spekuliert, dass die Rolle Deutschlands im UN-Sicherheitsrat maßgeblich davon abhängen wird, wie "wir" uns in Afghanistan engagieren.

USAF AufnaeherWelche Alternativen gibt es? Grundsätzlich drei: Deutschland macht so weiter wie bisher und stellt seine Soldaten "nur für begrenzte Zeit zur Nothilfe" den kämpfenden Verbüdeten im Süden zur Verfügung. Das dürfte den Nato-Partnern am wenigsten gefallen und wird wohl die meisten diplomatischen Probleme mit sich bringen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die "Verweigerungshaltung" weiterreichende politische Folgen haben wird. Platt formuliert: Wenn sich Deutschland den Wünschen der Verbündeten sperrt, warum sollten die Verbündeten dann auf Deutschlands Wünsche hören?

Sind wir auf die Nato angewiesen? Letztendlich ja. Es gibt kein vergleichbares internationales Militärbündnis. Es ist müßig darüber zu philosophieren, ob in einer idealen Welt Militär nicht vielleicht überflüssig wäre, denn unsere Welt ist nicht ideal, ein Verzicht auf Militär nicht realistisch. Dank der Globalisierung müssen alle ihre Interessen dort wahren und schützen, wo sie gefährdet werden. Das ist in den seltensten Fällen zu Hause im eigenen Land. Das gilt auch für Deutschland. Können wir unsere Interessen ohne Verbündete wie die Nato wahren und schützen? Zweifelhaft. Das Zerbrechen der Nato oder ein Austreten aus der Nato ist deshalb zumindest unter den gegebenen Umständen keine Alternative, die man anstreben sollte.

Ich vermute, diese Alternative wird sich nicht durchsetzen lassen und auch unsere Tante Angie weiß das. Ihre jetzt so besonders medienwirksam dargestellte Haltung dürfte eher Schauspiel zur Beruhigung der Wähler sein: "Ich wollte ja nicht, aber ich wurde gezwungen" klingt für die pazifistische Wählerschaft hinterher deutlich besser.

Alternative zwei: Deutschland stellt einen Teil der geforderten Truppen bereit. Das dürfte zwar den Natopartnern nicht gerade Begeisterungsstürme entlocken, aber in direkte Abhängigkeit zur Größe des Truppenkontingents wird das Einlenken Deutschlands irgendwo zwischen Almosen und ernstzunehmendem Kompromissangebot wahrgenommen werden. Ich bezweifle, dass Deutschland überhaupt auf dauer die fehlenden 2.500 oder 3.000 Soldaten zusätzlich stellen kann, von daher vermute ich, dass es auf diese Alternative hinauslaufen wird.

Jung BundeswehrIm Dezember werden unsere 780 Soldaten aus dem Kongo zurück kommen. Diese Truppen wären dann zumindest rein rechnerisch wieder verfügbar und entsprächen, evtl. mit einer geringfügigen Aufstockung, ungerfähr dem, was unter den gegebenen Umständen ein realistisches Kompromißangebot sein dürfte. Ich schätze, dass Deutschland nach (für die Presse) "langen und zähen Verhandlungen" letztenendes 750 bis 1.000 zusätzliche Soldaten bereitstellen wird, die im Süden Afghanistans eingesetzt werden. Ich vermute, dass die entsprechenden Beschlüsse und Papiere für den Bundestag bereits in den Schubladen liegen.

Die dritte alternative, Deutschland stimmt uneingeschränkt den Forderungen der Natopartner zu, halte ich für unrealistisch und nicht durchsetzbar und ich bin mir ziemlich sicher, dass auch die sich jetzt beschwerenden Natoparter das im Grunde ganz genau wissen. Das ist aber auch nicht ganz so schlimm, da es ja nicht nur um Deutschland geht, sondern auch um andere Länder, die ihre Soldaten mit ähnlichen Einschränkungen in Afghanistan operieren lassen. Vermutlich werden "irgendwie" 2.000 zusätzliche Soldaten dauerhaft in Afghanistan stationiert, wo die auch immer herkommen mögen.

Die Folgen dürften für Deutschland vielfältig sein. Einerseits verlassen wir unsere "militärische Isolation" und begeben uns unmittelbar "an die Front". Für die Nato-Partner dürfte das ein nahezu selbstverständlicher Schritt sein, der gar nicht zu verhindern ist. Für die Bundeswehr bedeutet es eine ziemlich gravierende Herausforderung, denn bisher war die Gefahr bei einem Einsatz ums Leben zu kommen vergleichsweise gering und wenn, dann bestanden die Risiken eher in Unfällen oder Attentaten. Unmittelbar in Kampfhandlungen einzugreifen oder diese sogar zu provozieren, dürfte für viele Soldaten dr Bundeswehr irgendwie "neu" sein und für die Bundeswehr insgesamt auch eine internationale Bewährungsprobe.

Bild Soldat mit SchaedelIn Deutschland wird es mit Sicherheit umfangreiche Diskussionen darum geben, ob "Deutschland in den Krieg ziehen darf" und es wird mit Sicherheit auch schmerzhaft werden die Medien zu beobachten: Knochenhaufen und Fotos mit Schädeln sind eine Sache. Berichte von Verlusten eigener Soldaten von der Front eine ganz andere. Wir haben die Reaktionen der US-Medien im Irak miterlebt und wir haben gesehen, wie die deutschen Medien das Material verwertet haben. Ich bin gespannt, wie die deutschen Medien und in Folge der Berichterstattung die Bevölkerung mit den eigenen unausweichlichen Verlusten umgehen werden.

Die Bevölkerung wird sich an zwei Lagern polarisieren: Die "Friedensaktivisten" werden jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um einen "Totalrückzug aller Truppen aus allen Kriegsgebieten" zu fordern und stattdessen weiterhin - "wie früher" - die Probleme mit Geld lösen wollen. Die "Hardcore-Militaristen" werden das exakte Gegenteil davon fordern und hartnäckig für ein massives Aufrüsten der Bundeswehr und eine Ausweitung der Einsätze eintreten. Irgendwo dazwischen wird sich die Mehrheit der Bevölkerung wiederfinden.

BundeswehrUnsere Soldaten sind im Ausland eingesetzt und werden wohl auch in Zukunft im Ausland eingesetzt. Davon ist auszugehen. Trotzdem sind Sie ein Teil unserer Gesellschaft, auch im Ausland, ob nun bei Kampfhandlungen oder beim Brunnenbau. Genau das scheinen manche zu vergessen, die über unsere Soldaten sprechen, als wären es Aliens, die eher zufällig die deutsche Fahne auf der Unifrom tragen. Daran muss gearbeitet werden und genau diese Distanz in den Köpfen und in den Medien zwischen "Gesellschaft" und "Militär" müssen wir überwinden, oder unserer Gesellschaft wird eine ganz eigene Version des "Vietnam Traumas" wiederfahren.

(Quelle: n-24)

1 Kommentar:

  1. Warum müssen die Deutschen da mitmachen?
    Deutschland, Frankreich, Russland und China waren ja gegen den Einmarsch in den Afghanistan, ganu so wie in den Irak.
    Nun wo den USA und Co. der ärger über den Kopf steigt, fordern sie (ohne einen funken schlechtem Gewissen)das wir Deutschen uns gefälligst an dem Kampfhandlungen beteiligen sollen.
    Unglaublich diese unverschämtheit.

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