Sonntag, 20. April 2008

Hamburg

Doppelstock BusEntgegen anderslautender Behauptungen bin ich nicht nur in meiner Heimatstadt unterwegs. Gerne suche ich auch andere Siedlungszentren auf, meistens in der Hoffnung, dort weniger, oder zumindest harmlosere Bekloppte anzutreffen. Mein Bekanntenkreis weiß das und nimmt mich deshalb gerne mit auf Städtetour - oder "Safari", wie sie es inzwischen nennen. Eine solche Städtetour war jüngst der Einfall meines busfahrenden Bekannten, der es für eine tolle Idee hielt, meine Kamera und mich mitten in der Nacht nach Hamburg zu entführen. Anfangs halte ich diese Idee auch für "toll"...

Ich habe Glück: Hamburg präsentiert sich in strahlendem Sonnenschein und ist bevölkert von unglaublich vielen Menschen. Unglaublich vielen bekloppten Menschen, wie ich sehr bald merken sollte. Ich werde am ZOB (Zentraler Omnibus Bahnhof) in der Nähe des Hauptbahnhofs abgesetzt. Dort versammelt sich bereits zu früher Stunde die Creme de la Creme der High Society und genießt das Frühstück. Es verwundert mich nicht, dass eben jenes Frühstück in erster Linie aus umstehenden Müllkübeln zusammengesammelt wird, aber etwas erstaunt bin ich dann doch, dass nicht wenige fehlende Komponenten aus umliegenden Kiosken und Imbissen zusammengekauft(!) werden. Sei es drum.

Ich wandere los, besichtigte die nahe gelegene Fußgängerzone und staune über sich auf offener Straße "prügelnde" Banker, die sich - eindeutig filmreif - wie zwei Mädchen gegenseitig ankeifen und schon fast zärtlich herumschubsen. Tucken galore. Die beiden bieten eine eins A Kulisse für die offenbar frisch dem Assitoaster entnommenen Discopalmen, die auch nicht viel Anderes zu tun haben, als sich gegenseitig lautstark in gewähltestem Hochdeutsch anzukeifen: "Schlampe!" - "Fotze!" You get the point. Leider trifft zusammen mit mir die Polizei ein und zerstreut die Szenerie, aber als Einstand finde ich das schon recht klasse.

Die Dummheit deutscher Autofahrer ist ja schon legendär, aber bitte wie dämlich muss man sein, dass man zur sich Hauptverkehrszeit ins absolute Halteverbot einer Busspur stellt und das ausgerechnet unmittelbar hinter einem Streifenwagen, an dessen Kofferraum ein Cop lehnt, der den Parkvorgang aufmerksam beobachtet? Der Fahrer, ein "ich bin toll"-Typ Anfang dreißig ist völlig perplex, dass ihm der zu meiner Überraschung völlig entspannte und gelassene Cop erklärt, dass er - also der Autofahrer - ihm - dem Cop - jetzt entweder zeigt, wo die Kamera steht oder ein anständig ausgepreistes Ticket kassiert. Der Autofahrer ist natürlich super einsichtig und steigt sofort wieder ein und fährt weg.

Euch kann man auch alles erzählen, was? Natürlich ist es nicht so. Der Autofahrer rastet total aus, brüllt rum, beleidigt so ziemlich alles im Umkreis von geschätzten sechzig Lichtjahren um den Cop, Hamburg und Deutschland und Europa herum, verteilt großzügig obszöne Gesten in jede nur denkbare Richtung, bevorzugt jedoch in Richtung des Landesbediensteten und wird dafür vom Cop mit einem wissenden Lächeln belohnt. Als der sich äußerst erwachsen und reif und qualifiziert für die Teilnahme am menschlichen Genpool verhaltende Vollprofi kurzzeitig mal die Fresse hält, lässt ihn der Cop ein selbstverständlich völlig unwichtiges Detail wissen:

"Ihnen ist schon klar, dass ich ihren Führerschein habe, oder? Nein? Dachte ich mir. Ich behalte den jetzt auch erstmal. Ich rufe dann mal nen Abschlepper an, denn SIE fahren vorläufig erstmal Bus." 100% Pure Ownage. Der vielsagende Blick des Beamten in meine Richtung und besonders auf meine Kamera macht mir sehr eindringlich klar, dass er nun nicht gerade davon begeistert ist, sich abgelichtet zu wissen. Ich trolle mich von dannen.

Alster Fontäne Binnenalster HamburgIch tummle mich am Rathaus - toller Bau, nur irgendwie passt das mit der Sonne überhaupt nicht und Fotos gegen das Licht sind mal voll doof. Naja. Alsterpromenade ist sehenswert: So viele wichtige Menschen auf so wenig Fläche... das hat schon was. Rüber, andere Seite, Binnenalster. Sehr amüsant: Dutzende Passanten und Touristen, die mit ihren Handys verzweifelt versuchen, die Alsterfontaine einigermaßen brauchbar abzulichten. Bei geschätzten zwei Megapixeln dürfte das bei allen feinstes Klötzchenkino sein. Aber egal, jeder bekommt, was er haben will.

Da die Zeit knapp ist, noch ein Abstecher zum Mahnmal St. Nicholai, kurz gesichtet, ein paar Übersichtsaufnahmen und Rückroute geplant. Am Zollmuseum vorbei und wieder zurück zum ZOB. Die High Society hat nahtlos das zweite oder dritte "Frühstück" nachgeschoben und streitet darum, wer jetzt bei welchem Kiosk welche Alkoholika einkaufen soll. Ich spare mir das und beschließe stattdessen einen Snack beim Schotten (Auswärtige und Insulaner sagen noch immer "McDonalds" dazu) einzukaufen.

Der Schotte war sauber, modern und gut besucht. Das Personal war routiniert und erstaunlich freundlich. Ernsthaft, so freundliches und bemühtes Personal habe ich beim Schotten noch nirgendwo erlebt. Drei Kassen sind geöffnet. An jeder Kasse eine Schlange von drei, vielleicht vier Kunden. Alles Personal ist in Action. Plötzlich platzt die Tür auf und ein Komiker auf Fernsteuerung erklärt den Laden zu seinem Eigentum.

Er nuschelt irgendwas von "Cheeseburger" in den für ihn nächst stehenden Serviettenständer. Der erfüllt seine Bestellung natürlich nicht, was zu profunder Verwirrung des "Gastes" führt. Das Personal bedient ungestört weiter, neue Kunden kommen hinzu. Der Komiker hält sich den Serviettenspender auf Armeslänge vom Leib, starrt wirr in die Runde. Er entdeckt die Kassen. Da der Laden ihm gehört und niemand außer ihm bedient werden will, stürmt er an allen vorbei, direkt an den Tresen und keucht die sichtlich um Fassung bemühte Bedienung an:

"Ich will n Cheeseburger." Die erste Bedienung ignoriert den Komiker, der sich darauf hin der nächsten Bedienung zuwendet: "Ich will Cheeseburger!" Auch sie ignoriert ihn. Der Komiker ist fassungslos. Er dreht sich um, taumelt zurück in den Raum, kreiselt. Ruckartig bleibt er stehen und fasst einen Entschluss. Ein suchender Blick und er hat ein Opfer auserkoren. Er stürmt zielstrebig auf das Pärchen vor mir zu: "Los jetzt! Cheeseburger!", faucht der die junge Frau an. Ihre Begleitung reagiert mustergültig: "Schatz, lass Dich nicht anquatschen" und blickt weiter starr nach vorne zu Kasse.

Was für ein Mann! Ich bin begeistert von so viel Männlichkeit, Tatkraft und Handlungsfreude. Ein echtes Vorbild. Die Frau sieht mit einer Mischung aus Entsetzen und maßloser Verblüffung zwischen dem Komiker und ihrem "Göttergatten" hin und her. Der Komiker versteht, dass er auch da nicht das Objekt seiner Begierde erhalten wird. Er wählt die Schlange auf der anderen Seite, versucht dort sein Glück. Vergeblich, aber dafür wird sein nächster Versuch wenigstens von eindeutigen Glückwünschen und Hinweisen auf sein vorbildliches Verhalten begleitet: "Verpiss Dich, Arschloch. Packst Du mich an, gibt's auf die Fresse!"

Ich verpacke meine Kamera sorgfältig und ziehe mir meine Handschuhe an. Ich ahne, was auf mich zukommen wird. Ja, genau: Der Komiker kommt gezielt auf mich zu. Eine Dunstwolke, die problemlos alle Ansprüche an biologische und chemische Kampfstoffe erfüllt, schlägt mir entgegen. Er fasst mich an und brüllt: "EY! SOFORT NEN CHEESEBURGER!!" - Warum immer ich?

Er will mich schütteln. Mutig. Gelernt ist gelernt und manche Reflexe funktionieren ein Leben lang: Seine Hand umfasst, einen halben Schritt nach hinten, mit der anderen flachen Hand ein Stoß vor die Schulter, Drehebel und schwupp: "Polizeigriff". Ich halte ihn knapp auf Distanz, sehe mich zum Personal um. Der Komiker mault ziemlich verblüfft rum. Das Personal sieht mich verwirrt und ängstlich an. "Macht mal jemand die Tür auf? Oder soll ich durch die Scheibe...?" Der Schichtleiter wird hektisch. Er hechtet zur Tür, reißt sie auf. Der Komiker wacht aus seiner Überraschung auf und fängt an zu zucken, will sich befreien. Ich stoße ihn aus der Tür, der Schichtleiter zieht die Tür schnell zu und hält sie von innen zu.

Ich entschuldige mich bei den Umstehenden für die Störung und stelle mich zurück in die Schlange. Das Pärchen vor mir ist in aufgeregter Debatte. Er: "Was für eine Unverschämtheit. Was bildet der sich eigentlich ein? Wo sind wir hier denn? Im Tollhaus?" Mit den Worten dreht er sich halb zu mir um und wirft mir einen mörderischen Blick zu. Ich lächle ihn an. Daraufhin sie: "Wieso? Ich weiß gar nicht was Du hast, Schatz." Sie dreht sich zu mir um "Manche Männer scheinen eben doch noch Eier in der Hose zu haben..." und wirft mir einen Blick zu, der mehr sagt als nur "Hello, Pretty..." Ich lächle unverbindlich und deute nach vorne.

Die Kassiererin wartet auf die Bestellung des Pärchens. Während die beiden über die Qualität und Fortsetzung ihrer offenbar unter schlagartig veränderten Vorzeichen stattfindenden Beziehung debattieren, bestellen die beiden irgendwelches Zeugs. Im Weggehen wendet sie sich mir noch mal zu: "Vielen Dank." Ein Augenaufschlag, der meinen Hormonhaushalt schlagartig auf Hochtouren bringt. Er ist fuchsteufelswild und motzt sie harsch an. Sie solle sich benehmen und was diese Szene solle und überhaupt. Sie lächelt ihn zuckersüß an: "Schatz, Contenance. Du weißt doch, wie schwach es um deine Konstitution bestellt ist. Aufregung ist nicht gut für jemanden wie Dich..." Ich ahne, dass sich hier ein interessanter Nachmittag anbahnt.

Ich bin dran. Ich bestelle Kleinzeug, werde bedient und der Filialleiter schaltet sich ein: "Das geht aufs Haus". Ich bedanke mich artig, greife mir den Sack und pilgere nach draußen. Weder vom Komiker, noch von dem glücklichen Pärchen ist weit und breit etwas zu sehen. Dafür ist mein Bekannter mit seinem Doppelstöcker wieder da. Wir hocken uns auf eine der Bänke. Ich gebe ihm was ab und erzähle ihm von dem Event beim Schotten. Darauf er: "So'n Geleckter mit Schnöselbärtchen und so nem Feger dabei?" Passt. "Jau, die sind hier vorbeigerauscht. Er geschimpft wie ein Rohrspatz und sie nur am Grinsen. Sind in so'n Cabrio rein und gerade mit quiteschenden Reifen da hinten raus." Er deutet in Richtung Ausfahrt.

Ich werde nie erfahren, ob das genau in diesem Moment einsetzende wilde Gehupe, die quietschenden Reifen und das sich dem anschließende Knallen von Blech zu jenem Pärchen gehört oder nicht, aber es macht diese Episode vollkommen. Wir sammeln die übrigen Fahrgäste ein. Es soll zu den Landungsbrücken gehen. Ich kann den Beifahrersitz im Bus entern, denn die Reisebegleiterin ist bereits an den Landungsbrücken und wartet dort auf uns.

Lebensmüder HipHopper in HambugNun ist so ein doppelstöckiger Reisebus nicht eben leicht zu übersehen und er ist mit 18 Tonnen Leergewicht auch ein nicht eben triviales Fahrzeug auf der Straße. Kurz vor dem Hauptbahnhof erfahre ich, dass manche Menschen genau das irgendwie anders sehen. Wir haben grüne Welle und gondeln gemütlich mit 50 Sachen vor uns hin, hinter einem Linienbus her. Links auf dem Bürgersteig vor uns fällt mir ein HipHopper auf. Der scheint fließenden Verkehr für das Problem anderer Leute zu halten. Ohne sich um die hektisch hupenden und mit quietschenden Reifen in den Anker gehenden Autofahrer zu kümmern, latscht er los, quer über die Straße, auf einen Fußgängerüberweg zu. Ich ahne, was kommen wird. Mein Bekannter hat die Situation bereits erfasst und steht auf Bremse und Hupe. Der Bus kommt nicht weit vor dem Spezi zu stehen (siehe Bild) Der lässt sich überhaupt nicht beeindrucken und geht einfach weiter...

Ohne weitere Zwischenfälle liefern wir die Fahrgäste ab. Wir kaufen noch in einem größeren Supermarkt der Metro-Gruppe ein. Auch dort verfolgen uns merkwürdige Ereignisse. Angefangen von dem Einkaufswagen, der uns nicht ein, nicht zwei, sondern ganze drei Mal "geklaut" wird. Der Einkaufswagen taucht jedes Mal an völlig anderen Stellen wieder auf, jedes Mal ist der Inhalt fast unverändert, denn jedes Mal fehlt genau ein Teil. Nicht fragen, nur wundern. Auch die Verkäuferinnen an der Käsetheke sind strange. Nicht nur, dass sie zu zweit gleichzeitig ein und denselben Kunden bedienen, sie bieten demselben Kunden (meinem Bekannten) gleichzeitig völlig verschiedene Käsesorten an, zeigen völlig willkürliche und unterschiedliche Mengen an, wiegen diese ab und packen sie ein. Beinahe toll, nur ist weder Käsesorte noch Menge irgendeiner Verkäuferin das, was mein Bekannter bestellt hat.

Wundert es jemanden, dass, als wir an der Kasse anstehen - mit unserem Wagen, den wir nach der dritten "Ausleihe" bewachen wie Schießhunde - plötzlich jemand ankommt und sich kommentarlos an uns vorbeidrängt und sich vor uns in die Reihe stellt, mit den Worten: "Was glotzt Du so? Aufs Maul?" Mein Bekannter und ich sehen uns an. Wir kennen uns lange und wir verstehen uns gut. Wir haben keinen Bock auf Stress und mein Bedarf an "Seltsam" ist eindeutig gestillt. Wir lassen den komischen Vogel gewähren, bezahlen unseren Einkauf und beenden unseren Besuch in Hamburg irgendwann ohne weitere seltsame Vorkommnisse.

Ich bin wirklich froh, dass niemand in meinem Beisein verletzt wurde...

2 Kommentare:

  1. Hmmm...irgendwie...

    Erstmal: Der Begriff "fremdschämen", den sEIGu immer so gerne benutzt, bekommt für mich hier eine völlig neue Qualität.

    Dann: Du bist - das muss einfach zum wiederholten Male gesagt sein - ein Magnet für Kuriositäten und die seltsamsten Dinge, die einem so widerfahren können.

    Ich hatte Dir ja neulich schon angeboten, dass wir mal eine gemeinsame Tour durch Hamburg machen, wenn Du mal Lust hast, auf ein Wochenende oder so hier reinzuschneien. Da mir, der hier lebt, wohnt und arbeitet, solche Sachen höchst selten bis gar nicht passieren, dürfte das gleich eine ganze Sammlung interessanter Erlebnisse mit sich bringen.

    Und so nebenbei bemerkt: Im Gegensatz zu anderen bin ich in der Lage, Dir Futter ohne Ende für die Kamera zu liefern. Könnte man mit einer fiesen Tour kombinieren, an der dann Warpig (ebenfalls begeisterter 40D'er) teilhat.

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  2. ICH WILL MIT! *rofl*

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