Freitag, 19. Februar 2010

Erfolge und Gesinnungswandel

Die in den letzten Tagen bekannt gewordenen Festnahmen in Pakistan scheinen der Auftakt zu einem größeren Rundumschlag zu sein. Associated Press (AP) berichtet, dass "pakistanische Behörden" (lies: ISI) in Zusammenarbeit mit US Geheimdiensten (lies: CIA) weitere Anführer der Taliban verhaftet haben. Laut AP wurden "mehr als ein Dutzend" Anführer verschiedener Gruppierungen der Taliban verhaftet, darunter bekannte Gefährten von Osama Bin Laden.

Nach Aussagen des pakistanischen Geheimdienstes wurden bei drei Zugriffen am Mittwoch und Donnerstag in der Nähe des Hafens von Karachi, Pakistan, alleine neun Kämpfer der Taliban mit Verbindungen zur al-Qaida verhaftet. Zwei Schattengouverneure der Taliban wurden nach Angaben pakistanischer und afghanischer Regierungsstellen bei zwei anderen Zugriffen verhaftet.

Soweit bisher bekannt ist, wurden bei den Festnahmen unter anderem Ameer Muawiya, Gefährte von Osama bin Laden und zuständig für die ausländischen Kämpfer der al-Qaida im Grenzgebiet Pakistans und Akhunzada Popalzai (aka: Mohammad Younis), ehemaliger Schattengouverneur der Provinz Zabul und früherer Polizeichef von Kabul verhaftet. In Karachi wurden außerdem Abu Hamza, ehemaliger Kommandeur der afghanischen Armee der Provinz Helmland und Abu Riyad al Zarqawi, Kontaktmann zu den tschetschenischen und tajikischen Widerstandskämpfern im pakistanischen Grenzgebiet, verhaftet.

Das Verhören Baradars steht offenbar mit zumindest einigen Festnahmen im direkten Zusammenhang. Ein Mitarbeiter des ISI sagte gegenüber AP, dass Baradar "nützliche" Informationen preisgegeben habe, die zu weiteren Festnahmen geführt haben. Mitarbeiter des ISI bestätigten, dass die von US Geheimdiensten abgefangene Kommunikation eine Schlüsselrolle gespielt habe. Erst mit diesen Informationen sei es möglich gewesen, die Verdächtigen aufzuspüren und zu verhaften, die in Karachi Zeitzünder und andere Komponenten für den Bombenbau zu kaufen. Alle Verhafteten seien nach Islamabad gebracht worden.

Der Sprecher des Pentagon, Geoff Morell, sagte, dass die US Regierung "sehr zufrieden" mit den jüngsten Festnahmen sei. Auch Obamas Vertreter in der Region, Richard Holbroke drückte seine Zufriedenheit aus und nannte die Festnahmen "gute Nachrichten nach einer langen Zeit schlechter Nachrichten". Er nannte die Festgenommenen "enge Vertraute" von Mullah Omar, verwehrte sich aber dagegen, sie der Quetta Shura zuzuordnen:
"I don't want to use the term 'Quetta Shura' because some people in Pakistan don't like it, but these people arrested belong to the supreme command of the Taliban."

R. Holbroke
Ob diese Erfolge auf eine erhöhte Bereitschaft Pakistans zur Zusammenarbeit oder aber bessere Geheimdienstinformationen zurückzuführen wären, wollte Morell nicht kommentieren. Stattdessen sagte er:
"What I will say to you, yet again, is that we are enormously heartened by the fact that the Pakistani government and their military intelligence services increasingly recognize the threat within their midst and are doing something about it"
Besonders interessant ist die AP-Meldung, dass im Nordwesten Pakistans, im Gebiet um Dande Darpa Khel herum, Mohammed Haqqani, Bruder von Sirajuddin Haqqani, nach Angaben des pakistanischen Geheimdienstes durch einen Raketenangriff getötet wurde. Es ist fair davon auszugehen, dass dieser Angriff durch amerikanische UAV ausgeführt wurde, zumal Obama jüngst bekanntgegeben hatte, dass er den Einsatz von UAV im Grenzgebiet verstärken wolle.

Der Angriff richtete sich zwar ursprünglich gegen Sirajuddin Haqqani, aber es ist nicht bekannt, ob er bei diesem Angriff verletzt wurde. Sirajuddin und Mohammed sind die Söhne von Jalaluddin Haqqani, dem Anführer der Haqqani-Taliban und Sirajuddin steht im Verdacht, dass er der Drahtzieher hinter dem Anschlag auf eine US-Einrichtung in Afghanistan ist, bei dem im Dezember mehrere Mitarbeiter des CIA getötet wurden. Sirajuddin erklärte sich selbst für die Planung eines Anschlags auf das Hotel Serena in 2008 verantwortlich, bei dem sechs Menschen getötet wurden. Er gab außerdem zu, dass er hinter dem 2008 versuchten Anschlag auf Afghanistans Präsidenten Karzai steht und dass er mehrfach Angriffe auf das US Militär und deren Alliierte aus Pakistan heraus koordiniert hat und an einigen selber teilnahm. Da Jalaluddin Haqqani inzwischen zu alt und zu krank ist, führt Sirajuddin inzwischen das weiter, was sein Vater aufgebaut hat.

Die Festnahmen sind insgesamt schon aufgrund ihrer Anzahl sehr beeindruckend und zeigen, dass neben rein militärischen Operationen die der Geheimdienste zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die Zusammenarbeit von ISI und CIA wiederum ist für sich genommen auch sehr bedeutsam. Von besonderem Interesse ist jedoch, dass der pakistanische Geheimdienst die den Tot M. Haqqani bekanntgab, obwohl der Angriff durch die USA erfolgte. Damit kann man davon ausgehen, dass der ISI entweder auch hier mit den USA zusammengearbeitet hat oder zumindest davon informiert wurde. Die Bekanntgabe durch den ISI macht deutlich, dass zumindest offiziell nicht dagegen interveniert wurde.

Dieser Schlag gegen die Haqqani-Taliban und die Aussage des Pentagonsprechers Morell lassen vermuten, dass die Theorie ein geheimes Abkommen zwischen den USA und Pakistan betreffend immer wahrscheinlicher ist. Pakistan würde ohne entsprechenden Hintergrund Angriffe auf die Haqqani-Taliban nicht dulden und schon gar nicht als Erfolg verkünden. Die Formulierungen des ISI und des Pentagon lassen vermuten, dass der Angriff auf Siraj und Mohammed Haqqani kein Zufall, sondern sorgfältig geplant war und ihm umfangreiche Geheimdienstinformationen zugrunde lagen.

Wenn der ISI davon im Vorfeld wusste, wovon auszugehen ist, hätte er mehr als genug Gelegenheit dazu gehabt, den Angriff scheitern zu lassen. Insofern kann man vorsichtig darauf spekulieren, dass in Pakistan tatsächlich ein grundlegender Gesinnungswandel stattfindet. Dieser Gesinnungswandel wird mit einiger Wahrscheinlichkeit davon getragen, dass die pakistanische Führung die pakistanischen Taliban zunehmend als Bedrohung für sich selbst versteht. Andererseits wird Pakistan nicht ohne Zugeständnisse und bestimmt nicht ohne Not mit den USA plötzlich gegen den sorgsam aufgebauten Verbündeten vorgehen. Finanzielle und materielle Zugeständnisse dürften hierfür wenig ausschlaggebend sein.

Da Regierungsvertreter aus Kabul und Islamabad nahezu zeitgleich zusammenhängende Erfolge im Kampf gegen die Taliban verkündeten, ist es naheliegend davon auszugehen, dass die USA die Rolle Pakistans in Afghanistan langfristig aufzubauen und eine Nähe zwischen Kabul und Islamabad demonstriert werden soll, die für die Zukunft produktiv erscheint. Wenn den USA daran nicht gelegen wäre, hätten sie das nicht zugelassen. Insofern erscheint die Theorie eines geheimen Abkommens zwischen Pakistan und den USA Afghanistan betreffend immer wahrscheinlicher. Dazu kommt, dass der Telegraph heute Generalleutnant Talat Masood zitiert. Masood ist inzwischen pensionierter Offizier der pakistanischen Armee, der der Führung in Islamabad sehr nahe steht. Er sagte:
"These are very significant arrests because the level of co-operation has improved so much there's a feeling in the present military that while the Taliban have a role in Afghanistan, we don't want to antagonise them, but we don't want to befriend them to the point where they harm our interests. If they're not prepared to negotiate or listen to us, we can't have them as our friends."

Generalleutnant Talat Masood
Masood sagte aber auch, dass während der Afghanistankonferenz in London vergangenen Dezember der Durchbruch erzielt wurde, als die strategischen Interessen Pakistans in Afghanistan anerkannt wurden. Wenn die USA und ihre Alliierten auf einer gemeinsamen Konferenz die "strategischen Interessen" Pakistans anerkennen, dann kann man davon ausgehen, dass dort zwischen den Alliierten und Pakistan eine Übereinkunft geschlossen wurde, die die Rolle Pakistans in Afghanistan für die Zeit nach dem Abzug des Militärs betrifft. Es ist nur wahrscheinlich, dass diese Übereinkunft auch darauf abzielt zu verhindern, dass Pakistan zu einem "failed state" wird, wie in der Vergangenheit mehrfach spekuliert wurde. Das bedeutet, dass wahrscheinlich alle an dieser Konferenz beteiligten Staaten auf die eine oder andere Art Abkommen mit Pakistan geschlossen haben, die langfristig die internationalen Beziehungen zu Pakistan verbessern sollen.

Zusammenfassend bedeutet das wohl, dass die Taliban jetzt von zwei Seiten aus unter massivem Druck stehen und ihr ehemals sicheres Rückzugsgebiet in Pakistan zunehmend unsicher wird. Dass die Alliierten Pakistan zur Mitarbeit überzeugen konnten, ist ein Fortschritt, den man gar nicht hoch genug bewerten kann, auch wenn abzuwarten bleibt, welcher Preis dafür zu zahlen sein wird. Insgesamt lässt diese Entwicklung jedoch einen positiven Ausgang des Engagements in Afghanistan immer wahrscheinlicher werden.

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