Sonntag, 28. Februar 2010

Empty that shot...

Jaja, ich weiss... funny movies und Herde...

...aber... WTF? Sowas von auf-den-Punkt...

Liberale Grundrechte

Wenige werden bestreiten, dass das Internet eine Revolution war, die fast jeden Lebensbereich moderner Gesellschaften auf die eine oder andere Art tangiert. Für Menschen wie mich ist das Internet eine Selbstverständlichkeit geworden, zum Teil sogar eine Notwendigkeit des Alltags. Ich denke da insbesondere an die Kommunikation mit anderen, die ich ohne das Internet nicht nur nicht erreichen könnte, sondern wahrscheinlich auch nie kennengelernt hätte. In der Zeitspanne, die ich die Entwicklung des Netzes überschauen kann, haben sich extrem viele Dinge verändert und sehr viele dieser Veränderungen empfinde ich als sehr positiv. Andererseits sind auch Entwicklungen zu beobachten, die problematisch sind. Eine der wohl problematischsten Entwicklungen ist die Handhabung von personenbezogenen Daten.

Firmen und staatliche Stellen haben aus unterschiedlichen Gründen einen schier unstillbaren Datenhunger. In immer deutlicherem Umfang zeigt sich, dass Daten ohne Wissen und oft auch ohne Zustimmung des Anwenders aus unterschiedlichsten Bereichen zusammengeführt und genutzt werden. Firmen haben zum Beispiel ein enormes Interesse daran, über ihre tatsächlichen und potentiellen Kunden möglichst viel zu Wissen. Der Handel mit Daten ist nicht ohne Grund ein riesiger Wachstumsmarkt. Der Anwender steht dieser Zusammenführung oft hilflos gegenüber, denn will er verschiedene Dienstleistungen nutzen, bleibt ihm meistens nichts anderes übrig, als der Nutzung seiner persönlichen Daten durch den Anbieter zuzustimmen. Zwar hat er hier und da Auskunftsrechte und auch die Möglichkeit zum Widerspruch, aber ob das auch wirklich so eingehalten wird und von wem, das kann er meistens nur sehr indirekt überprüfen.

Dieses Problem betrifft nicht nur Deutschland, sondern alle. Im zunehmenden Maße wächst der Druck auf, aber auch das Eigeninteresse der Politiker weltweit, Regeln zu finden und Mechanismen zu schaffen, die dem Anwender zumindest einen Grundstock an Mitspracherecht einräumen. Heute wandte sich der amtierende Bundesminister des Innern, Thomas De Maizière (CDU), an die Öffentlichkeit:
"Selbstbestimmung im Netz setzt zudem voraus, dass Softwarehersteller und Diensteanbieter ihre wirtschaftliche Macht nicht ausnutzen und ausnutzen können. Die Nutzer müssen eine echte Wahl haben, ob sie etwa die Weitergabe ihrer Daten akzeptieren oder nicht. " "Die Privatautonomie ist ein hohes Gut und dient der freien Entfaltung der Persönlichkeit." "Zur Selbstbestimmung gehört auch die Möglichkeit der nachträglichen Kontrolle." "Das Wissen darüber, welche Wege die Daten genommen haben, ermöglicht mir, mein Verhalten gegebenenfalls zu überdenken und für die Zukunft zu ändern. Es ist zudem Voraussetzung für die Gewährung von Rechtsschutz, mit dem die Löschung von Daten, die Haftung bei Rechtsverletzungen oder gar strafrechtliche Sanktionen geltend gemacht werden können." "Schließlich muss der Einzelne die Wahl haben, wie er im Internet kommuniziert, ob er seine Identität preisgibt oder nicht. Es ist legitim und schützenswert, bestimmte Kommunikationsformen im Internet anonym oder unter einem Pseudonym zu nutzen."
De Maizière schlägt deshalb vor, dass sich Politiker, Vertreter der Wirtschaft und auch Anwender zusammensetzen und gemeinsam Methoden und Werkzeuge entwickeln, mit der dieser Anspruch umgesetzt werden kann.

Zur Zeit sieht es ja eher so aus, dass der Anwender im Netz nur mit Glück erfährt, dass seine Daten genutzt werden. In welchem Umfang sie genutzt werden, erfährt er meistens nicht und die Möglichkeiten zum Widerspruch sind begrenzt und oft unglaublich kompliziert. Der Anwender ist im Prinzip gezwungen, von jedem einzelnen Unternehmen entsprechende Informationen einzufordern. Aber wer weiß denn schon, welche Unternehmen Daten über ihn gesammelt haben? Wenn es darum geht zu erfahren, wohin diese Daten weitergegeben wurden, steht der Anwender auf verlorenem Posten. Zu Recht fordert De Maizière ein, dass die in der Verfassung garantierten Grundrechte zu achten sind und nicht nur für Firmen gelten, sondern eben für alle und dazu gehört auch der einzelne Anwender. Kaum jemand wird der Idee widersprechen, dass die Grundrechte nicht irgendein Fantasiegebilde sein dürfen und wer sich mit dem Problem der Sicherheit seiner persönlichen Daten befasst hat, wird auch sehr schnell zustimmen, dass hier enormer Nachholbedarf besteht.

Ach wirklich?

Die innenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Gisela Piltz, verkündete stellvertretend für die FDP als direkte Antwort auf den Vorschlag des Innenministers folgende Haltung:
"Ein solcher bürokratischer Aufwand, der mit hohen Kosten für die Unternehmen verbunden ist, ist durch nichts gerechtfertigt."
Die FDP ist der Ansicht, dass der vom Innenminister vorgeschlagene Ansatz viel zu bürokratisch ist. Natürlich sollten die Daten von Firmen "möglichst kostenlos" zur Verfügung gestellt werden. Eine Verpflichtung von Unternehmen diese Informationen ungefragt mitteilen zu müssen, lehnt sie aber kategorisch ab. Wer weiß denn schon, ob der Bürger das wirklich wissen will? Nachher fühlt er sich noch belästigt.

Diese Haltung verdeutlicht zwei grundlegende Einstellungen der FDP. Erstens: Grundrechte des Bürgers interessieren gefälligst einen Scheiß, wenn deren Einhaltung Firmen Geld kostet. Zweitens: Wenn der Bürger schon auf sein Recht bestehen können soll, dann darf es ihm doch bitte nicht zu einfach gemacht werden. Nachher reißt das noch ein und der Bürger kommt auf die Idee, seine Rechte oder gar den Grundsatz "gleiches Recht für alle" für bare Münze zu nehmen.

Ich meine, die Linkspartei lässt man vom Verfassungsschutz in manchen Bundesländern beobachten, weil man ihr nachsagt, dass einige ihrer Thesen nicht zur freiheitlich demokratischen Grundordnung passen sollen. Wenn ich mir im direkten Vergleich jedoch anschaue, welche Haltung die FDP in aller Öffentlichkeit zum Thema Grundrechte einnimmt, dann frage ich mich, wie eine solche Partei allen ernstes als Bestandteil einer REGIERUNG auch nur eine Minute lang geduldet werden kann.

Vermutlich ist aber einfach nur mein Verständnis von Grundrechten nicht mit Deutschland zu vereinbaren.

Freitag, 26. Februar 2010

Nicht nur eine Frage der Intelligenz

Kennt Ihr das Gefühl sich mit jemandem zu unterhalten, mit ihm zu diskutieren und sich dabei insgeheim zu fragen: "Sag mal, ist der so blöde oder will der nicht begreifen?" Zwei Studien, die mir in den letzten Tagen in die Hände fielen, beantworten diese Frage auf bemerkenswerte Weise.

Die erste Studie befasst sich mit der Untersuchung, welche Faktoren auf die Einschätzung eines Themas, über das man wenig weiß, Einfluss darauf haben, ob bei diesem Thema eher die Risiken oder die Vorteile gesehen werden. Die Untersuchenden nahmen mit voller Absicht das Thema Nanotechnologie, denn nur wenige wissen wirklich mehr als nur oberflächliche Details über dieses Thema. Die Untersuchenden präsentierten den Probanden, die wenig bis gar nichts über das Thema wussten, dieselben Fakten und ließen sie einschätzen, wie sie aufgrund dieser Fakten das Thema einschätzen.

Das Ergebnis war verblüffend: Nicht etwa die Fakten als solche waren für die Antwort maßgeblich, denn dann hätten die Antworten einem gleichmäßigen Muster folgen müssen. Das taten sie aber nicht. Stattdessen konnte nachgewiesen werden, dass die Risikobewertung durch die kulturelle Prägung polarisiert wurde und die Fakten deutlich überlagerte:
"(...) members of public who hold relatively egalitarian and communitarian worldviews will perceive (...) risks to be greater, and (...) benefits smaller, than will persons who hold relatively hierarchal and individualistic worldviews."
Kommunitarismus bezeichnet eine kapitalismus- bzw. liberalismuskritische Strömung in der Kulturphilosophie, wobei hier Liberalismus als philosophische, ökonomische und politische Ideologie individueller Freiheit im Sinne einer normativen Grundlage der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung gemeint ist. Der Egalitarirismus bezeichnet eine sozialpolitische Sichtweise, die Widersprüche einer Gesellschaft durch Gleichheit aufzulösen versucht. Beim Individualismus steht der Einzelne, das Individuum im Mittelpunkt und eine hierarchische Weltanschauung basiert auf einem System, in dem die einzelnen Elemente einander über- bzw. untergeordnet sind.

Mit anderen Worten: Die kultur- und sozialphilosophische Sichtweise eines Einzelnen ermöglicht Rückschlüsse darauf, ob der- oder diejenige eher Nachteile oder Vorteile eines ihm neuen Themengebietes wahrnimmt. Umgekehrt lässt sich aus der Haltung gegenüber einem vergleichsweise neuen Themengebiet unmittelbar diese kultur- und sozialphilosophische Sichtweise ableiten.

Eine US-amerikanische Studie belegt, dass die politische Einstellung unmittelbar mit dem Intelligenzquotienten zusammenhängt. Eine Langzeitstudie mit 15.000 Teilnehmern konnte zeigen, dass diejenige Gruppe, die sich selber als "sehr konservativ" einschätzte, im Durchschnitt einen um IQ von 95 aufwies und damit 5 Punkte unterhalb des Durchschnitts der Gesamtheit ihrer Altersgruppe lag. Hingegen lag der durchschnittliche IQ derjenigen Gruppe, die sich als "progressiv" betrachtet, bei 106 Punkten, also 6 Punkte über dem Durchschnitt der Altersgruppe. Konservative Sichtweisen und progressive Sichtweisen spiegeln sich unter anderem auch in der Religiosität wieder. Unter den Probanden hatte diejenige Gruppe, die sich selbst als "überhaupt nicht religiös" betrachtete, im Durchschnitt einen IQ von 103, wohingegen die Gruppe, die sich selbst als "sehr religiös" einschätzte, im Durchschnitt 97 Punkte erreichte.

Parallel dazu zeigt eine von der zuvor genannten Untersuchung unabhängige Langzeitstudie aus England, dass unter deren Probanden die intelligenteren eher dazu neigen, Grüne oder Liberaldemokraten zu wählen als Konservative oder die Labour Party. Nach Ansicht von Psychologen passt das zu den Beobachtungen außerhalb der Studie. Intelligenz erlaubt es den Menschen, sich anders zu verhalten, als es die Evolution in ihnen angelegt hat. Eine höhere Geistesleistung gibt ihnen die Freiheit, neue Wege im sozialen Zusammenleben zu suchen. Sie können wegen ihrer Intelligenz eher Ressourcen für Menschen aufwenden, die nicht mit ihnen verwandt sind, und sind eher für staatliche Wohlfahrt, die höhere Steuern erfordert.
"Um progressiv zu sein, brauchen Menschen kognitive Leistungsfähigkeit. Wer immer im Bekannten bleibt, muss nicht viel überlegen."

Detlef Rost, Intelligenz-Forscher an der Universität Marburg
Bemerkenswert an der britischen Studie waren die Ergebnisse hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen IQ und gewählter Partei. Die Gruppe der Wähler der in England sehr progressiven, fortschrittsorientierten Partei der Grünen hatte als Kind im Durchschnitt einen IQ von 108, die der Konservativen im Durchschnitt einen IQ von 104 und die Gruppe der Wähler der Labourpartei im Durchschnitt einen IQ von 103. Die Gruppe der Nichtwähler und Wähler rechtsextremer Parteien lagen jeweils im Durchschnitt unter 100.

Mir zumindest werden gerade eine Menge Dinge klar...

Physik nach SPON:

Mein WTF zum Frühstück von SPON:
je kleiner der Sensor desto durchgehender die Schärfe
Mit anderen Worten: Die Schärfentiefe hängt vom Sensor ab, nicht von der Blende. Ich sollte meine Physiklehrer verklagen...

USA zum Thema Abrüstung in Europa

Ich stelle hier mal unkommentiert in den Raum, was AFP berichtete:
"The demilitarization of Europe -- where large swaths of the general public and political class are averse to military force and the risks that go with it -- has gone from a blessing in the 20th century to an impediment to achieving real security and lasting peace in the 21st."

US Secretary of Defense, Robert Gates
Hintendran noch ein paar Zahlen, die beim Nachdenken noch etwas Schwung in die Sache bringen:

Militärbudget (2009)
...der USA: 711 mrd US$
...der EU: 289 mrd US$
...Chinas: 122 mrd US$

Bruttoinlandsprodukt (GDP/BIP, 2009)
...der USA: 14.4 bil US$
...der EU: 16.5 bil US$
...Chinas: 8.8 bil US$

Wirtschaftswachstum (2009)
...der USA: 0.2%
...der EU: -4%
...Chinas: 8.7%

Einwohner (2007)
...der USA: 301 mio
...der EU: 495 mio
...Chinas: 1.3 mrd

You do the math...

Donnerstag, 25. Februar 2010

4,5 ist knapp 6

In den USA starb eine "Trainerin" eines Orca bei einem tragischen Unfall während sie mit dem Tier "arbeitete". Zwar ist die Geschichte an sich bereits traurig genug. Weil aber der Tod eines Menschen heute nicht mehr viel wert ist, muss kreativ mit Zahlen und Fakten hantiert werden. Und mit Fakten. Heute zeigt uns "Die Welt" ein Musterbeispiel dafür.

Das kreative Zahlenspiel:

knapp sechs Tonnen - 4,5 Tonnen schwer - welt.de
Im Teaser für den Text schreibt Die Welt in ihrer Onlineausgabe, dass der Orca "knapp sechs Tonnen" schwer sei. Im dem Bild folgenden Text schreibt sie dann, der Wal sei "4,5 Tonnen" schwer. Nun, ich weiß, dass ein Unterschied von 1.500 Kilo nahezu mikroskopisch ist, wenn man diese Masse mit zum Beispiel der Masse von Öltankern oder meinetwegen Sonnen vergleicht. Aber bei Meeressäugern machen 1.500 Kilogramm einen gewaltigen Unterschied - und in einem Aufmacher für einen Sensationsbericht sowieso.

Aber auch das reicht der Welt nicht. Die dramatisch-alberne Überschrift, durch die sowohl SeaWorld, als auch die ermittelnden Behörden an den Rand der Lächerlichkeit bewegt werden, lautet:

Orca-Trainerin starb offiziell durch Unterkühlung - welt.de
Okay, wenn es denn wirklich so sein sollte, wäre das bemerkenswert. Aber was schreibt "Die Welt" dazu? Nun, lesen wir selbst:

Todesursache Unterkühlung - welt.de
Merke: Viertausendfünfhundert sind knapp sechstausend, ein Mann ist eine Frau und 1999 ist 2010.

[Update]: Inzwischen ist wohl auch jemandem bei der Zeitung aufgefallen, dass das etwas heftig war.

Personalbeschaffung

Vor einigen Tagen scherzte ein Bekannter mir gegenüber noch darüber, dass man ja ganz gut 1 Euro Jobber nach Afghanistan schicken könnte, und wenn die sich weigern, dann könnte man denen ja die Unterstützung streichen. Das war natürlich im Scherz gemeint, eine Überspitzung, und wir haben darüber beide gelacht. So wie es aussieht, könnte uns das Lachen im Halse stecken bleiben.

Bereits am 4.12.2009 vereinbarten Kultusminister Helmut Rau und Generalmajor Gert Wessels eine Zusammenarbeit zwischen den Schulen in Baden-Württemberg und der Bundeswehr. In einer Pressemitteilung des Baden-Württembergischen Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport heißt es:
"Mit dieser soll die Kooperation zwischen Schulen und Jugendoffizieren gekräftigt werden. Ziel ist eine Intensivierung der Zusammenarbeit im Rahmen der politischen Bildung. "Vor dem Hintergrund einer globalisierten Welt soll die Kooperation Jugendliche an sicherheitspolitsche Themen heranführen. Damit soll der Blick auf die Chancen und Risiken unserer Sicherheit und auf das Fundament unserer freiheitlichen Grundordnung geschärft werden", erklärte Rau."
Mit anderen Worten: Die Bundeswehr soll an der politischen Bildung beteiligt werden. Auf den ersten Blick halte ich diese Idee für gar nicht so verkehrt, denn es kann sehr hilfreich sein, wenn Jugendliche ins direkte Gespräch mit jenen kommen, die mit den Folgen politischen Handelns konfrontiert werden. Was mich aber sehr nachdenklich macht, ist die dann folgende Formulierung derselben Pressemitteilung:
"Jugendoffiziere bieten dazu wie bisher ihre Besuche in Schulen an. Sie werden darüber hinaus in die Aus- und Fortbildung von Referendarinnen und Referendaren und von Lehrkräften eingebunden."
Bitte? Die Bundeswehr soll bei Lehrern politische Kompetenz schaffen? Das Militär soll Lehrer ausbilden, die dann ihrerseits Schüler auf das Leben vorbereiten? Bei allem Respekt, den ich gegenüber der Bundeswehr habe und auch bei aller Einsicht die Notwendigkeit von Militär betreffend, die aufbringen kann, an dieser Stelle habe ich doch ernsthafte Zweifel, ob das in die richtige Richtung geht.

Für sich alleine genommen halte ich das für sich genommen bereits für eine problematische Entwicklung. Das Militär sollte sich aus der Bildung heraushalten. Es ist nicht Auftrag der Bundeswehr Bildung zu vermitteln und es ist erstrecht nicht Aufgabe der Bundeswehr, bei Kindern und Jugendlichen politische Kompetenz zu vermitteln. Das ist eindeutig Aufgabe der Lehrer und Schulen und der Politiker - letztere haben dazu zwar keinen Bock, aber trotzdem ist das eigentlich auch ihr Job, aber das ist ein anderes Thema.

Für sehr sinnvoll hingegen halte ich, dass die Bildungseinrichtungen eng(er) mit der Bundesagentur für Arbeit zusammenarbeiten. Es ist wichtig, dass Schülern und Heranwachsenden die Realität des Arbeitsmarktes vermittelt wird und Illusionen gegen Faktenwissen und Fähigkeiten ersetzt werden, sich auf diesem Arbeitsmarkt erfolgreich behaupten zu können. Jeder braucht sich nur selbst daran zu erinnern, welche verworrenen Ideen man selber mal als Schüler im Kopf hatte, was den Arbeitsmarkt betrifft. Angesichts der Realitätsferne der Vorstellungen mancher Schüler von heute kann ein wenig mehr Konfrontation mit der Wirklichkeit nur hilfreich sein.

Allerdings frage ich mich, was genau hier tatsächlich passiert. Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, und Generalmajor Wolfgang Born, Stellvertreter des Personalzentrums im Bundesverteidigungsministerium und Beauftragter der Bundeswehr für die militärische Personalgewinnung, haben kürzlich in Bonn eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Der exakte Wortlaut ist bisher nicht bekannt, wohl aber einige grobe Inhalte.
"Mit dieser [Kooperationsvereinbarung] sollen verstärkt partnerschaftliche Anstrengungen unternommen werden, um Personal zu gewinnen und zu qualifizieren." "Weise, selbst Oberst der Reserve, und Born unterstrichen, dass es das gemeinsame Ziel der beiden Organisationen sei, die ihnen anvertrauten Personengruppen bei der Wahl ihres Berufswegs bis hin zur erfolgreichen Eingliederung in den Arbeitsmarkt tatkräftig zu begleiten."
Okay, im ersten Ansatz liest sich das ziemlich harmlos und ist sogar zu begrüßen, denn Soldaten, die aus der Bundeswehr ausscheiden, brauchen in der Tat massive Unterstützung dabei, sich im zivilen Berufsleben einzugliedern. Die Bundesagentur für Arbeit ist da der logische richtige Ansprechpartner für das Verteidigungsministerium. Was stört, ist die umgekehrte Richtung. Klar, warum soll man befähigten Arbeitslosen nicht auch aufzeigen, dass sie zur Bundeswehr gehen können, wenn das für sie infrage kommt. Aber wenn die Alternative zum Druckmittel wird, dann läuft etwas schief. Es sollen bereits Sanktionsandrohungen gegen Arbeitslose ausgesprochen worden sein, die nicht an den Rekrutierungsveranstaltungen der Bundeswehr teilnehmen wollten.

Ja, wir haben in Deutschland eine Wehrpflicht. Ja, dieses Modell ist mehr als diskussionswürdig. Ja, ich halte die Bundeswehr für notwendig und richtig (und auch verbesserungswürdig). Nein, es kann nicht sein, dass der Staat über den Umweg der Arbeitslosen die fehlende Attraktivität seines Militärs dadurch ausgleichen will, dass er Bürger in wirtschaftlichen und sozialen Notlagen dazu zwingt, sich dem Militär anzuschließen. Dieser Entwicklung kann man gar nicht entschieden genug entgegentreten. Im größeren Zusammenhang gesehen macht mich die Nachwuchsbeschaffung über Schulen und über die Bundesanstalt für Arbeit sehr nachdenklich. Ich frage mich, ob diese Form der "Nachwuchsgewinnung" nicht genau diejenige ist, die wir uns angesichts unserer historischen Erfahrungen verkneifen sollten.

Erwachsen werden

Wie so oft, wenn mich mehrere Bekannte auf verschiedene Texte zu noch sehr viel verschiedeneren Themen hinweisen, treiben meine Gedanken ab und am Ende einer ganz langen und komplizierten Verkettung von Gedankengängen komme ich an einer ganz anderen Stelle heraus, als alle Beteiligten anfangs geplant hatten. Und so kam ich von neuen Panikanfällen der katholischen Kirche (der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Bischof Robert Zollitsch, verlangt von Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger binnen 24 Stunden eine Entschuldigung) (btw, in diesem Zusammenhang: alt aber verdammt gut, danke Seigu), über den unvermeidlichen Rücktritt Bischöfin Margot Käßmann nach einer Trunkenheitsfahrt mit Rotlichtverstoß (nur so am Rande gefragt: Ist das schon Straßenverkehrsgefährdung unter Alkoholeinfluss?) und die zum Teil erstaunlichen Kommentare der Presse darüber und von da aus zum Platzen des Verkaufs von Hummer und der jetzt durch GM angekündigten Schließung des Werkes, über die Mitteilung, dass eine Schule in Rhone Island, USA, ALLE Lehrer gefeuert hat, weil sich die gewerkschaftlich organisierten Lehrer nicht einsahen dem Wunsch des Rektors zu entsprechen, mehr Zeit mit den Schülern zu verbringen. Wie ich von da ohne Umwege zu einer Diskussion darüber kam, wie die Zukunft der NATO aussehen könnte, wollt ihr nicht wissen, glaubt mir.

Und damit bin ich beim Thema: Was wird aus der NATO? Die Tage wurde bekannt, dass Deutschland die USA auffordert, die in Deutschland verbliebenen Atombomben abzuziehen. Bereits 2009 forderte der damalige Außenminister Steinmeier die USA öffentlich dazu auf und Anfang Februar verkündete das Auswärtige Amt, dass Bundeskanzler Verzeihung, Bundesaußenminister und Viezekanzler Westerwelle mit offiziellen Gesprächen über genau dieses Thema begonnen habe. Dieser "Vorschlag" wird beiderseits des Atlantiks sehr unterschiedlich bewertet.

Die Argumente sind durchaus kontrovers und die Thematik ganz bestimmt nicht trivial, denn im Kern geht es um nicht weniger, als ein elementares Konzept der NATO, das historisch gewachsen ist. Die NATO wurde ursprünglich geschaffen, um Deutschland in Schach, die Russen auf Abstand und Amerikas Vorherrschaft aufrecht zu halten. Die Frage nach den Atomwaffen wuchs quasi parallel dazu und war in erster Linie ein Ding zwischen den USA und Russland, denn auch wenn die USA ihre Atomwaffen in diversen NATO-Staaten stationiert haben, Zugriff darauf haben wohl eher sie selbst und nicht jene Staaten, in denen sie stationiert sind. Inzwischen ist speziell in Europa die Rolle der NATO mehr als nur umstritten. Als Versuch der USA herauszufinden, ob die NATO und ihre Mitglieder überhaupt dazu willens und in der Lage sind, der angestrebten Transformation von einer Verteidigungsallianz hin zu einem global operierenden Instrument der Machterhaltung und -gestaltung zu folgen, darf ohne Zweifel die ISAF in Afghanistan angesehen werden.

Nun soll jetzt und hier nicht darüber diskutiert werden, ob der Einsatz in Afghanistan überhaupt sinnvoll, richtig, gut, erfolgversprechend oder notwendig ist. Vielmehr geht es darum, dass sich gerade in diesem Einsatz zeigt, wie deutlich die Unterschiede zwischen den Zielvorstellungen, der Einsatzbereitschaft und dem Willen zum Erreichen eines Ziels bei den beteiligten Bündnispartnern ausgeprägt sind. Seit 2001 konnten wir alle wunderschön am Schreibtisch verfolgen, wie sich die USA abrackerte und hunderte Millionen US-Dollar und tausende Soldaten durch Afghanistan schleuste, während sich zum Beispiel Deutschland in erster Linie mit der Frage befasste, ob in Afghanistan Krieg herrsche oder nicht und ob dort unsere Freiheit verteidigt wird.

Entsprechend unterschiedlich fielen auch die Beteiligungen aus. Zwar erreichte Deutschland im Laufe der Jahre den Status des drittgrößten Kontingents alliierter Soldaten in Afghanistan, aber erstens sollten die unsere Soldaten umgebenden Vorschriften und Restriktionen die Soldaten um jeden Preis aus jeder denkbaren militärischen Konfrontation herauszuhalten und zweitens ist die Relation zwischen Rlang 1 und Rang 3 in dieser Aufstellung sehr ernüchternd. Während wir uns rühmen jetzt tatsächlich 5350 Soldaten für Afghanistan bereitzustellen, haben die USA Ende 2009 ganze 68.000 Soldaten, mehr als das zehnfache, im Einsatz. Materiell und finanziell zeigen sich nicht minder große Unterschiede. Der Punkt ist nicht, dass Deutschland sehr viel mehr Soldaten einsetzen sollte oder müsste. Der Punkt ist, dass nicht nur Deutschland keinen Bock auf diesen Einsatz hat. Wie sonst sollte die Feststellung des als beinahe genial und heilsbringend gefeierten Strategiepapiers von General Stanley McChrystal zu verstehen sein, dass die ISAF zukünftig völlig anders operieren müsste?
"ISAF will change its operating culture.... ISAF will change the way it does business." "ISAF's subordinate headquarters must stop fighting separate campaigns."

General Stanley A. McChrystal
Die USA als militärisches Schwergewicht in der NATO hat grundlegend andere Ziele. Den USA geht es um die globale Sicherung der USA, das Wohlergehen der US-amerikanischen Bürger und den Wohlstand im eigenen Land. Erst danach kommen auf der Liste der Prioritäten die Interessen der Bündnispartner. Warum wohl haben sich die USA in nahezu allen Bündnisstaaten in die Innen- und Außenpolitik nachhaltig eingemischt, sich aber umgekehrt aber jegliche Einmischung verbeten und radikal abgeblockt (man denke nur an das Abkommen von Kyoto)?

Die Unterschiede, die hier gegeneinander stehen, sind offenbar nicht überwindbar. Europa befindet sich noch immer (und meiner Meinung nach ohne grundlegende Veränderung der Ausgangslage wohl auch für immer) in einem aussichtslosen Bürokratenstreit um eine wie auch immer geartete "europäische Einigung". Die Europäische Union besteht inzwischen aus 27 Mitgliedsstaaten und ist nicht einmal dazu in der Lage, den eigenen Bürgern zu erklären, wozu der Laden überhaupt da ist (man beachte die unglaubliche Wahlbeteiligung), geschweige denn sich darauf zu einigen, auf welcher gemeinsamen Verfassungsgrundlage man die gemeinsame Zukunft überhaupt aufbauen soll und statt diese Probleme zu lösen, diskutiert man darüber, wen man als nächstes in die EU holt.

Neben der inneren Zerstrittenheit geht es in Europa und für Europäer immer nur um den eigenen Vorgarten. Globale Probleme sind den meisten Europäern weitestgehend egal und lieber geht man seltsam anmutende Kompromisse ein, die von Politikern teilweise mit abenteuerlichen Verrenkungen als Erfolg verkauft werden, statt sich und seine Interessen (welche das denn auch immer sein mögen) wirklich durchsetzen zu wollen. Die USA hingegen hat gar keine Probleme damit, internationalen Verhandlungspartnern ganz klipp und klar zu sagen "mit uns nicht" und Verhandlungen scheitern zu lassen, wenn sie amerikanischen Interessen und Zielen entgegen stehen.

Die USA wiederum sehen sich ganz eigenen, völlig anderen Problemen gegenüber. Vor der eigenen Haustür, in Mexiko, entbrennt ein Kleinkrieg, in dem seit 2007 in den mit Drogen im Zusammenhang stehenden bewaffneten Auseinandersetzungen mehr Menschen ums Leben kamen als amerikanische Soldaten im Irak und Afghanistan insgesamt getötet wurden. Das eigene Land hat ein erhebliches strukturelles Problem: Der Sozialstaat ist in Amerika eines der schwerwiegendsten Konfliktthemen überhaupt, dessen Umfang und Tragweite kaum ein Europäer auch nur halbwegs nachvollziehen kann. Dazu kommen die Interessen der USA in Afghanistan, Irak, im Iran, im Nahen Osten und so weiter, die von ganz eigenen Zielen aber auch Verpflichtungen bestimmt werden.

In der NATO müssen diese zum Teil erheblichen Widersprüche überwunden werden, denn angeblich sind ja hier alle gleichberechtigt und alle tragen die "Last" des Bündnisses gemeinsam. Gerade Afghanistan zeigt, wie weit die Vorstellungen von "gemeinsam" voneinander abweichen und die jüngsten Entwicklungen machen deutlich, dass es den USA langsam reichlich egal ist, ob "die anderen" mitmachen oder nicht. Aber was bedeutet das für die NATO?

Wenn die USA zu der Überzeugung kommen, dass dieses transatlantische Bündnis mehr und mehr zu einem Debattierclub mutiert, der - ähnlich wie die EU - jedem interessierten offen steht (wer hat sich nicht gefragt, was Albanien und Kroatien in der NATO zu suchen haben?) und jetzt sogar wieder "angedacht" wird, wie man denn zu einer Aufnahme Russlands in die NATO steht, dann wird die USA sich fragen, ob eine weitere Beteiligung an der NATO überhaupt sinnvoll ist.

Diese Überlegung ist meiner Meinung nach gar nicht so verkehrt. Machen wir uns nichts vor: Europa hat an Militär ein Interesse, dass sich am ehesten noch mit "widerwillig" umschreiben lässt. Militärische Projekte werden auf dem Dienstweg geplant und zusammengeklempnert (siehe A400M, NH90, PzH2000, Puma, EuroHawk und so weiter und so fort), ganze fünf von 27 Mitgliedsstaaten halten sich an die verbindliche Vereinbarung, 2% des Bruttoinlandsproduktes in die Rüstung zu investieren, einer davon sind die USA. Wenn es darum geht, wirklich und ernsthaft das Militär einsetzen zu müssen, dann würde sich am liebsten jeder hinter dem anderen und alle hinter den USA verstecken. Wird der gesellschaftliche Stellenwert der Armee hinzugezogen, dann fällt mir zu Deutschland als erstes das Wort "verkrampft" ein. Andere Staaten der EU sind da zwar etwas entspannter und realistischer, aber so richtig stolz ist hier niemand auf seine Bürger in Uniform. Klar, alle haben Militär, aber sieht man mal von England und Frankreich ab: Wer traut sich denn in Europa der eigenen Bevölkerung zuzugeben, dass das Militär tatsächlich existiert und wofür es da ist? Eher niemand. Militär wird in Europa überwiegend versteckt.

Wie soll auf dieser Grundlage eine Zusammenarbeit mit den USA funktionieren? Noch dazu in einem Militärbündnis? Ich sehe da ernsthafte Probleme. Auch in den USA ist man nicht davon begeistert, dass Soldaten sterben, im Gegenteil. Besonders angepisst ist man dort aber davon, dass deren Soldaten für andere (lies: Europäer) ins Gras beißen müssen, bloß weil "die anderen" keinen Bock haben das Spiel nach den nun mal geltenden Regeln zu spielen, sondern sich stattdessen lieber ihre eigenen Regeln und Spiele zusammendichten. Mehr noch: So sehr die Amerikaner auch gefordert, gebeten, verlangt, gelockt und was weiß ich noch haben, an der europäischen Grundhaltung hat sich rein gar nichts geändert, im Gegenteil.

Vor diesem Hintergrund sollte die Frage erlaubt sein, ob die Zukunft der NATO nicht vielleicht doch genau da zu suchen sein sollte, wo die NATO historisch und funktional einmal angesiedelt war. Ursprünglich war die NATO doch im Kern dazu gedacht, die Sicherheit in Europa sicherzustellen, damit auch die USA in Sicherheit leben können, denn Krieg in Europa bedeutete damals zwangsläufig auch Krieg für die USA. Warum sollte Europa diese Rolle nicht alleinverantwortlich und selbständig übernehmen? Warum sollen sich die USA mit den innereuropäischen Querelen herumschlagen? Warum sollen sich andererseits die Europäer mit deutlich erkennbarem Widerwillen an Missionen beteiligen, die sie gar nicht wollen, die die USA aber für notwendig halten? Braucht Europa die USA, um die Sicherheit in Europa zu gewährleisten?

In Europa gibt es seit inzwischen 65 Jahren keine Kriege zwischen Staaten mehr. Den kurzen, aber heftigen Bürgerkrieg in Ex-Jugoslavien und dem Kosovo mal außen vor gelassen lebt Europa in einer ungewohnt langen Phase eines überaus stabilen Friedens. Offensichtlich ist Europa sehr gut dazu in der Lage, sich selbst zu schützen und das eigene Überleben sicherzustellen. Immer wieder wird ja gerade deshalb behauptet, dass man in Europa kein Militär brauche, weil es ja für Europa keine (äußeren) Bedrohungen gäbe. Russland darf man zwar nicht unterschätzen, aber eine militärische Bedrohung Europas ist von dort inzwischen eher nicht mehr zu erwarten. Dazu sind die Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten mittlerweile zu groß. Wer sollte die EU militärisch im größeren Rahmen bedrohen? China? Marokko? Der Sudan? Die Schweiz?

Warum sollen sich die USA dann nicht in allen Ehren und im gegenseitigen Einvernehmen und allem Frieden aus der NATO zurückziehen? Eltern lassen ihre Kinder ja auch irgendwann aus dem Haus und ihr eigenes Leben leben. Die USA haben Europa nach dem Zweiten Weltkrieg genau wie Eltern ihre Kinder "aufgezogen". Sind wir vielleicht als Europa jetzt an dem Punkt angekommen den Schritt in die Unabhängigkeit, sozusagen ins Erwachsenenleben zu machen? Vielleicht muss Europa erst in der harten Realität ankommen, wenn es plötzlich die territoriale Integrität neu hinzugewonnener Mitglieder selber verteidigen muss. Was wäre zum Beispiel gewesen, wenn Georgien 2008 Mitglied der EU gewesen wäre? Oder wenn Litauen plötzlich um Hilfe ruft? Bislang kann sich Europa hinter den breiten (militärischen) Schultern der USA verstecken, aber hilft das dabei "erwachsen" zu werden und im Innern zusammenzuwachsen?

Ein Sprichwort besagt, dass nichts so sehr zusammenschweißt, wie eine äußere Bedrohung, derer man sich gemeinsam erwehren muss. Vielleicht fehlt uns genau das hier in Europa. Vielleicht ist es genau dieses Problem, dass wir noch immer im wohl behüteten Sandkasten vor uns hin spielen können, ohne uns ernsthafte Sorgen machen zu müssen, denn wenn es hart auf hart kommt, dann sind ja die Eltern (die USA) in Rufweite. Genau das ist aber das Problem bei allen Heranwachsenden: Solange sie nicht wirklich voll für sich selber verantwortlich sind und in jeder Beziehung ohne Netz und doppelten Boden in die Welt hinaus geschickt werden, solange haben sie auch echt krude Flausen im Kopf. Ich denke, bei Europa ist das nicht viel anders.

Man muss sich ja nicht mit den Amerikanern überwerfen. Es geht ja nicht darum, die USA zum "neuen Feind" zu erklären. Im Gegenteil. Was spricht dagegen, dass die EU mit den USA ein Bündnisabkommen schließt? Ein Abkommen, in dem nicht jedes einzelne Land unter ein gemeinsames Dokument seine Unterschrift leistet, sondern die EU stellvertretend für alle seine Mitglieder mit den USA. Als gleichwertige, ebenbürtige Partner. Mit Frankreich und England haben wir eigene Atomwaffen in Europa. Für die "nukleare Abschreckung" (über die man wiederum denken kann wie man will) brauchen wir die USA nicht wirklich.

Wenn Brüssel wirklich die Zentrale Europas ist, wenn im Rat der Europäischen Union tatsächlich die Geschicke und die Zukunft Europas bestimmt werden, wenn wir schon einen Außenminister für Europa haben (ok, er heißt nicht "Außenminister" sondern "Hoher Kommissar" bzw. "Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik"), der die Position der EU-Länder koordiniert, wenn es um die Gestaltung und Durchführung der Außenpolitik geht und der von einem politischen und militärischen Stab unterstützt wird, warum soll der dann nicht auch genau das nach außen tun dürfen, nämlich seinen Job machen?

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich der Meinung, dass die Abnabelung Europas von den USA, die momentan künstlich durch die NATO verhindert wird, für beide Seiten ein echter Gewinn sein kann und wird. Die USA können ihre eigenen Interessen dort vertreten, wo sie es für notwendig halten (solange das Völkerrechtlich abgesegnet ist, siehe Weltsicherheitsrat) und Europa kann sich mit sich selbst beschäftigen und seine eigene Suppe auslöffeln. Auf lange Sicht kann das für alle Beteiligten nur von Vorteil sein.

Oder was übersehe ich gerade?

Mittwoch, 24. Februar 2010

Jackpot?

Der Christian Science Monitor berichtet gerade, dass Regierungsvertreter Pakistans gerade bekannt gaben, dass sieben der fünfzehn Mitglieder der Führung der afghanischen Taliban, darunter der Kopf der militärischen Operationen der Taliban in Afghanistan, in den letzten Tagen verhaftet wurden.

Wenn das wahr ist, ist das eine richtig große Sache.

Beschaffung

Ist da (im "chez Charles") schon was länger an der Wand, aber es bringt mich immer wieder zum Nachdenken:

im chez charles

Lauscher an der Wand...

Gerne wird uns dummen Konsumenten vorgegaukelt, dass unsere "Sicherheit" immer und überall im Mittelpunkt des Interesses aller Firmen stehe. Datenschutz, Verbraucherschutz, Gesundheit, Kriminalität, Terrorismus sind die die prominenten Schlagworte, die jede Firma, die etwas auf sich hält, auf die eine oder andere Art zum Gegenstand ihrer "herausragenden Produkteigenschaften" oder zumindest ihrer Firmenphilosophie erklärt.

Manchmal geht das mit der Sicherheit aber auch zu weit, wie aktuell die Vorgänge rund um die "Diebstahlüberwachung" der an die Schüler ausgegebenen Laptops im Lower Merion School District (Pennsylvania, USA) zeigen. Jene Schule (Highschool) stellt ihren Schülern kostenlos Laptops der Firma Apple zur Verfügung. Um - wie die Schulbehörde sagt - gestohlene Laptops wiederzufinden, wurde auf den Geräten eine Software entwickelt, mit der sich über das Netz verschiedene Überwachungsfunktionen aktivieren lassen. So können z. B. das eingebaute Mikrofon und die Kamera angeschaltet und die aufgenommenen Dateien über das Netz abgerufen werden.

Das Besondere an diesem speziellen Fall ist, dass diese Software offenbar nicht nur zum Auffinden von gestohlener Hardware benutzt wurde, sondern in mindestens einem Fall, um einen Schüler zu Hause zu überwachen und ihm dann aufgrund seines angeblichen und umstrittenen Fehlverhaltens in der Schule abzumahnen (BoingBoing berichtet). Der Vorfall sorgt in den USA für großes Aufsehen, denn von dieser faktischen Möglichkeit der Überwachung seitens der Schule haben weder die betroffenen Schüler, noch deren Eltern etwas gewusst, noch haben sie dem zugestimmt. In der Sache ist inzwischen Klage eingereicht worden und auch das FBI ermittelt.

Wenn in Deutschland überwacht wird, denken wir auch sofort an Behörden. "Zensursula" und "Stoppschilder" sind die aktuellen Stichworte, bei denen jeder sofort ein bestimmtes Bild und eine eigene Meinung im Kopf hat. Die Diskussion in Deutschland dreht sich daher auch in erster Linie um Staat gegen den Bürger. Wenn es um den weiter gefassten Begriff "Datenschutz" geht, dann denken wir schon auch an Firmen, aber da dann doch in erster Linie an den Umgang der Firmen mit den von uns mehr oder weniger freiwillig herausgegebenen Daten. Facebook, Google und Payback sind zwei einigermaßen prominente Beispiele hierfür. Ein aktueller Fall in England zeigt, dass wir ein wenig weiträumiger denken sollten.

Im Inselkönigreich auf der anderen Seite des Kanals sorgt gerade auf höchster politischer Ebene das Vorgehen der Zeitung "News of the World" von Rupert Murdoch für erhebliches Aufsehen. (Guardian berichtet). Diese in England sehr populäre Zeitung hat offenbar seine Mitarbeiter im großen Stil Mobiltelefone "hacken" lassen, um so an Storys zu kommen. Ein Mitglied des Parlaments wird mit den Worten zitiert:
(the illegal actions of the newspaper) "went to the heart of the British establishment, in which police, military royals and government ministers were hacked on a near industrial scale"
Ein 167 Seiten umfassender Bericht liegt einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vor, in dem offengelegt wird, in welchem Umfang die Zeitung ihre Reporter Mobiltelefone von Anghörigen des Militärs, der Regierung und des britischen Königshauses abhören ließ. Die Mitarbeiter der Zeitung wiederum, speziell die verantwortlichen Entscheidungsträger, scheinen urplötzlich unter kollektivem Gedächtnisverlust zu leiden und versuchen die Verantwortung einem einzelnen Mitarbeiter zuzuschieben. Das jedoch wird angesichts des Umfangs der illegalen Abhörmaßnahmen von jedem bezweifelt. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass gerade solche umfangreichen… nun, nennen wir es mal "Ermittlungen" nicht auf dem Mist eines Einzelnen gewachsen sein können. Die Zeitung wiederum sieht sich natürlich durch eine politische Hetzkampagne verleumdet und ist sich keiner Schuld bewusst.

Man sollte sich daran erinnern, dass Herr Murdoch nicht in dem Ruf steht, dass er sich nicht dafür interessiert, was in seinen Firmen los ist. Auch sollte man sich daran erinnern, dass das Verhalten des Medienmoguls schon mehrfach als "offensiv" und auf das Ausweiten seiner Macht, sowie mehr oder weniger direkte Einflussnahme auf die Politik nach seinen Vorstellungen und zu seinem Vorteil beschrieben wurde. Unvergessen das unwidersprochene Zitat, nachdem seiner Meinung nach Objektivität im Journalismus in der heutigen Zeit keinen Platz mehr hat.

Wie auch immer der Fall in England ausgehen mag: Wir sollten uns an die Vorstellung daran gewöhnen, dass die größte Gefahr der Überwachung eher nicht vom Staat ausgeht, denn der wird kontrolliert (Stichwort Gewaltenteilung und Rechtsgrundlagen etc.) - zumindest bei uns ist das so. Wer aber kontrolliert die Firmen? Kameras in Supermärkten und anderen Geschäften sind inzwischen nahezu omnipräsent und welcher Laden weist seine Kunden schon auf die Kameraüberwachung hin? Wenn die Medien, die gerne auch als "vierte Macht im Staat" bezeichnet werden, neben den umstrittenen Methoden der Datensammlung ganz offen zur Spionage greifen, dann frage ich mich, welchen Methoden und Mechanismen wir hier sonst noch so unterworfen sind. Das wiederum lässt mich fragen, welche gesellschaftlichen Konsequenzen für die Rolle der Medien daraus folgen und ob wir es uns angesichts solcher Entwicklungen wirklich leisten können, die Medien vollkommen unkontrolliert und ohne Überwachung agieren zu lassen, denn: Jedes Freiheitsrecht - und damit auch und ganz besonders das Recht auf Pressefreiheit - findet dort seine Grenzen, wo es die Freiheit eines anderen verletzt.

Ich bin gespannt, ob im Zuge dieser Geschichte und der übrigen angeblichen und tatsächlichen Skandale insgesamt eine Diskussion über die Rolle der Medien, ihre Funktionen und ihre Grenzen in Gang kommt, denn umgekehrt ist ja - das zeigen uns Hessen und die Vorgänge im ZDF - die unverhohlene und überaus fragwürdige Beeinflussung Instrumentalisierung der Medien durch Politiker als Betätigungsfeld für ihr eigenes Machtstreben auch nicht gerade "gering" und daher mehr als diskussionswürdig.

Beonders nachdenklich macht mich dabei, wie gering das Unrechtsbewustsein bei den Verantwortlichen ausgeprägt ist. Egal ob nun die CDU beim ZDF, Facebook bei den Daten oder News of the World bei den Telefonen. Irgendwie läuft da etwas aus dem Ruder, das mir erhebliche Sorgen bereitet.

[Update] Der Stern berichtet: "(d)as Privatleben von Berliner Spitzenpolitikern ist systematisch ausspioniert worden." und zwar durch das Magazin "Bunte" aus der Verlagsgruppe Burda, zu der wiederum 260 Magazine gehören. Die Chefredakteurin der Bunte, Patricia Riekel, räumte auf Anfrage des Stern ein, "entsprechende Recherchen zum Privatleben der Politiker" in Auftrag gegeben zu haben.

Dienstag, 23. Februar 2010

In eigener Sache: Twitter

Mir gingen ein paar Leute ziemlich lange damit auf den Sack und haben es letztendlich dann sogar geschafft, mich von den "Vorteilen" zu überzeugen - lies: Man hat lange genug an meiner Neugierde und Experimentierfreude herumgespielt. Tapirherde hat jetzt Twitter. Oder besser: Ich habe einen Twitter-Account. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist, weiss ich auch nicht, aber es sieht zumindest witzig aus und es ist billiger als SMS.

Wer dem Leittier "folgen" möchte: http://twitter.com/Alphatapir.

Rechts am Rand ist darum jetzt auch dieses Twitter-Dingsi eingebaut und so wie es aussieht, tut das sogar! Ich bin begeistert.

Debatten um 4

Manche meiner Bekannten haben manchmal die Eigenart, mich zu den unmöglichsten Zeiten mit den seltsamsten Fragen zu beglücken. Sonntagnacht, zum Beispiel, kam "jemand" auf die Idee, es sei doch völlig ok mich um 4:00h (ja, vier Uhr morgens) aus dem Bett zu klingeln. An der Tür. Immerhin: Sie hatte Brötchen dabei und viele andere leckere Dinge, so dass der mir entgangene Schönheitsschlaf und meine leicht angeschlagene Laune wenigstens durch ein exquisites Frühstück ausgeglichen wurden.

Der Grund ihres Überfalls war unbestreitbar naheliegend und nahezu zwingend logisch: Sie konnte nicht schlafen. Sicher. Wenn ich nicht schlafen kann, dann denke ich auch immer als allererstes daran, wen ich um vier Uhr morgens aus dem Bett werfen kann. Warum schalte ich Idiot eigentlich die Türklingel nicht ab? Naja, sei es drum. Wenn wir uns treffen, was selten genug passiert, sind unsere Gespräche immer sehr... wie soll ich sagen... anders. Die meisten Leute treffen sich mit ihren Bekannten, um über die üblichen Themen zu reden. Beziehungskisten, das Leben, Probleme, Fußball, irgendwie sowas halt.

Sie kommt nur dann aus einer Stadt im südlicheren Teil der Republik, in der man eine eigenwillige Sprache spricht, zu mir, wenn sie über genau das nicht reden will. Sie trifft sich mit mir, um sich meine Ansichten und Einsichten zu Themen anzutun, über die ich hier auch schreibe. Nur eben ausführlicher. Und mit sehr, sehr eigenwilligen Fragestellungen und Einwürfen. Unsere Debatten haben was von einem Think Tank, nur dass ich eben kein Profi-Politiker, Diplomat oder Analytiker bin. Sie übrigens auch nicht.

Vergangene Nacht war unser Thema, nein, Verzeihung, ihr Thema, denn ich durfte nur Antworten, welche Kriege und Bürgerkriege wir zur Zeit auf unserem Globus vorfinden. Das sind auch immer die Themen, an die ich um vier Uhr morgens denken muss, wenn ich nicht schlafen kann: "Wo ist eigentlich gerade Krieg?". Sei es drum. Des Menschen Wille...

So nahmen wir uns des Themas an und ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich etliche dieser, nennen wir sie mal "Konflikte", nicht ad hoc parat hatte. Nach einigen Stunden des Diskutierens und Recherchierens war sie mit unserer Liste erstmal zufrieden und ließ mich mit dem Abwasch, mörderischen Kopfschmerzen und reichlich konfusen Gedanken wieder alleine und fuhr die gut 400 Kilometer wieder nach Hause, um - wie sie sagte - beruhigt auszuschlafen.

Ich habe es schon lange aufgegeben mir darüber den Kopf zu zerbrechen, was in den Köpfen andere Menschen, ganz speziell in denen von Frauen, abgeht und nehme einfach zur Kenntnis, dass andere Menschen und ich wahrscheinlich von verschiedenen Planeten kommen. Aber warum um vier Uhr Morgens? Warum ich?

Ach ja. Die Liste. Unsere Hieroglyphen habe ich für Euch lesbar übersetzt und alphabetisch sortiert. Die Aufzählung ist gegliedert nach Land, sofern anwendbar Gegend, wer gegen wen und seit wann. Bei machen der hier aufgezählten Konflikte waren wir uns nicht ganz sicher und unterschiedlicher Meinung über den Status Quo (insbesondere Nordirland und Nepal), aber wir haben uns dazu entschieden, auch diese Konflikte mit aufzunehmen.
  • Äthiopien (Region Ogaden, Regierung vs. Ogaden Liberation Front), seit 1984
  • Afghanistan (verschiedene, häufig wechselnde Beteiligte), durchgehend seit 1978
  • China (nordwestliche Autonomiegebiete, Regierung vs. Uiguren), min. seit Mitte der 1990er
  • Gazastreifen (verschiedene Beteiligte untereinander und gegen Israel), eigentlich schon immer, aktuell seit 2006/2007
  • Indien (Regierung vs. Communist Party of India), seit 1967
  • Indonesien (Papua und West Papua, Regierung vs. Autonomiebewegung), seit Anfang der 1960er
  • Irak (USA und Alliierte vs. Aufständische), seit 2003
  • Iran (regierendes Regime vs. Opposition), sein 2009
  • Jemen (Regierung vs. militante Houthi-Shiiten), seit 2004
  • Kashmir (Pakistan vs. Indien), seit 1947
  • Kolumbien (Regierung vs. paramilitärische Organisationen, Drogenkartelle und Guerilla Streitkräfte, z. b. FARC und ELN), seit 1964
  • Kongo (Grenzgebiet zu Ruanda, Hutu vs. Tutsi), seit 1994
  • Korea (Demokratische Volksrepublik Korea, "Nordkorea" vs. Republik Korea, "Südkorea"), seit 1950
  • Mexiko (Regierung vs. Drogenkartelle), seit ca. 2007
  • Myanmar ("Burma") (ethnische Minderheit Karen vs. Regierung), seit 1949
  • Nepal (Maoistische Rebellen vs. chinesische Zentralregierung), seit 1996
  • Nigeria (Militärregime vs. Movement for the Emancipation of the Niger Delta (MEND)) seit ca. 1995
  • Nordirland (Regierung vs. PIRA und deren Ableger, sowie Protestanten vs. Katholiken), seit 1969
  • Pakistan (Federally Administered Tribal Areas "FATA", Regierung vs. militante Islamisten), seit 2001
  • Peru (Regierung vs. Sendero Luminoso und Tupac Amaru), seit ca. 1980
  • Philippinen (Regierung vs. kommunistische Rebellen), seit 1969
  • Somalia (jeder gegen jeden), seit ca. 1991
  • Süd Ossetien (Süd Ossetien vs. Georgien), seit 1988, Höhepunkte 1991, 1992, 2004 und 2008
  • Sudan (Region Dafur, Regierung vs. Rebellen), seit 2000
  • Thailand (Region Pattani, Regierung vs. islamistische Separatisten), seit ca. 2004
  • Tschad (östlicher Teil und angrenzender Sudan, Regierung vs. Rebellen), seit min. 2005
  • Uganda (Regierung vs. Lord's Resistance Army), seit ca. 1988
  • Zentralafrikanische Republik (Regierung vs. Union of Democratic Forces for Unity), seit 2004
Wenn Euch noch was einfällt, was wir vergessen haben: Immer her damit.

Samstag, 20. Februar 2010

Abartig

Manchmal...
"Ich denke, Jesus war ein mitfühlender, super-intelligenter schwuler Mann, der die menschlichen Probleme verstand."

Elton John
Darauf die Antwort:
"Jesus als schwul zu bezeichnen, bedeutet, ihn als sexuell abartig abzustempeln."

Präsident der Katholischen Liga, Bill Donohue
Vielleicht liegts ja nur an mir, aber ich bin der Meinung, dass Vertreter einer Religion, die ihre Priester zu anormalem Sexualverhalten zwingt (Zölibat), deren Priester sich zu hunderten in abartigen Sexualpraktiken ergehen (Vergewaltigung von Kindern und Jugendlichen), einer Religion, die auf solche Verbrechen lapidar feststellt, dass man für die Opfer beten werde, sollte meiner Meinung nach sehr zurückhaltend damit sein, anderen Menschen ihr Sexualverhalten zum Vorwurf zu machen.

Aber wahrscheinlich sind das wieder zwei grundlegend unterschiedliche Dinge, die rein gar nichts miteinander zu tun haben und ich bin bloß zu dumm das zu erkennen...

(Quelle: n-tv)

Freitag, 19. Februar 2010

Verhandlungen

Aus eigener Erfahrung kann ich das nur zu gut bestätigen. Passt zu ein paar Dingen, die ich "nebenher" erfahren habe, die mich direkt betreffen und echt etwas ziemlich sauer machen, aber dazu vielleicht später mehr.

(Danke Thorsten)

Erfolge und Gesinnungswandel

Die in den letzten Tagen bekannt gewordenen Festnahmen in Pakistan scheinen der Auftakt zu einem größeren Rundumschlag zu sein. Associated Press (AP) berichtet, dass "pakistanische Behörden" (lies: ISI) in Zusammenarbeit mit US Geheimdiensten (lies: CIA) weitere Anführer der Taliban verhaftet haben. Laut AP wurden "mehr als ein Dutzend" Anführer verschiedener Gruppierungen der Taliban verhaftet, darunter bekannte Gefährten von Osama Bin Laden.

Nach Aussagen des pakistanischen Geheimdienstes wurden bei drei Zugriffen am Mittwoch und Donnerstag in der Nähe des Hafens von Karachi, Pakistan, alleine neun Kämpfer der Taliban mit Verbindungen zur al-Qaida verhaftet. Zwei Schattengouverneure der Taliban wurden nach Angaben pakistanischer und afghanischer Regierungsstellen bei zwei anderen Zugriffen verhaftet.

Soweit bisher bekannt ist, wurden bei den Festnahmen unter anderem Ameer Muawiya, Gefährte von Osama bin Laden und zuständig für die ausländischen Kämpfer der al-Qaida im Grenzgebiet Pakistans und Akhunzada Popalzai (aka: Mohammad Younis), ehemaliger Schattengouverneur der Provinz Zabul und früherer Polizeichef von Kabul verhaftet. In Karachi wurden außerdem Abu Hamza, ehemaliger Kommandeur der afghanischen Armee der Provinz Helmland und Abu Riyad al Zarqawi, Kontaktmann zu den tschetschenischen und tajikischen Widerstandskämpfern im pakistanischen Grenzgebiet, verhaftet.

Das Verhören Baradars steht offenbar mit zumindest einigen Festnahmen im direkten Zusammenhang. Ein Mitarbeiter des ISI sagte gegenüber AP, dass Baradar "nützliche" Informationen preisgegeben habe, die zu weiteren Festnahmen geführt haben. Mitarbeiter des ISI bestätigten, dass die von US Geheimdiensten abgefangene Kommunikation eine Schlüsselrolle gespielt habe. Erst mit diesen Informationen sei es möglich gewesen, die Verdächtigen aufzuspüren und zu verhaften, die in Karachi Zeitzünder und andere Komponenten für den Bombenbau zu kaufen. Alle Verhafteten seien nach Islamabad gebracht worden.

Der Sprecher des Pentagon, Geoff Morell, sagte, dass die US Regierung "sehr zufrieden" mit den jüngsten Festnahmen sei. Auch Obamas Vertreter in der Region, Richard Holbroke drückte seine Zufriedenheit aus und nannte die Festnahmen "gute Nachrichten nach einer langen Zeit schlechter Nachrichten". Er nannte die Festgenommenen "enge Vertraute" von Mullah Omar, verwehrte sich aber dagegen, sie der Quetta Shura zuzuordnen:
"I don't want to use the term 'Quetta Shura' because some people in Pakistan don't like it, but these people arrested belong to the supreme command of the Taliban."

R. Holbroke
Ob diese Erfolge auf eine erhöhte Bereitschaft Pakistans zur Zusammenarbeit oder aber bessere Geheimdienstinformationen zurückzuführen wären, wollte Morell nicht kommentieren. Stattdessen sagte er:
"What I will say to you, yet again, is that we are enormously heartened by the fact that the Pakistani government and their military intelligence services increasingly recognize the threat within their midst and are doing something about it"
Besonders interessant ist die AP-Meldung, dass im Nordwesten Pakistans, im Gebiet um Dande Darpa Khel herum, Mohammed Haqqani, Bruder von Sirajuddin Haqqani, nach Angaben des pakistanischen Geheimdienstes durch einen Raketenangriff getötet wurde. Es ist fair davon auszugehen, dass dieser Angriff durch amerikanische UAV ausgeführt wurde, zumal Obama jüngst bekanntgegeben hatte, dass er den Einsatz von UAV im Grenzgebiet verstärken wolle.

Der Angriff richtete sich zwar ursprünglich gegen Sirajuddin Haqqani, aber es ist nicht bekannt, ob er bei diesem Angriff verletzt wurde. Sirajuddin und Mohammed sind die Söhne von Jalaluddin Haqqani, dem Anführer der Haqqani-Taliban und Sirajuddin steht im Verdacht, dass er der Drahtzieher hinter dem Anschlag auf eine US-Einrichtung in Afghanistan ist, bei dem im Dezember mehrere Mitarbeiter des CIA getötet wurden. Sirajuddin erklärte sich selbst für die Planung eines Anschlags auf das Hotel Serena in 2008 verantwortlich, bei dem sechs Menschen getötet wurden. Er gab außerdem zu, dass er hinter dem 2008 versuchten Anschlag auf Afghanistans Präsidenten Karzai steht und dass er mehrfach Angriffe auf das US Militär und deren Alliierte aus Pakistan heraus koordiniert hat und an einigen selber teilnahm. Da Jalaluddin Haqqani inzwischen zu alt und zu krank ist, führt Sirajuddin inzwischen das weiter, was sein Vater aufgebaut hat.

Die Festnahmen sind insgesamt schon aufgrund ihrer Anzahl sehr beeindruckend und zeigen, dass neben rein militärischen Operationen die der Geheimdienste zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die Zusammenarbeit von ISI und CIA wiederum ist für sich genommen auch sehr bedeutsam. Von besonderem Interesse ist jedoch, dass der pakistanische Geheimdienst die den Tot M. Haqqani bekanntgab, obwohl der Angriff durch die USA erfolgte. Damit kann man davon ausgehen, dass der ISI entweder auch hier mit den USA zusammengearbeitet hat oder zumindest davon informiert wurde. Die Bekanntgabe durch den ISI macht deutlich, dass zumindest offiziell nicht dagegen interveniert wurde.

Dieser Schlag gegen die Haqqani-Taliban und die Aussage des Pentagonsprechers Morell lassen vermuten, dass die Theorie ein geheimes Abkommen zwischen den USA und Pakistan betreffend immer wahrscheinlicher ist. Pakistan würde ohne entsprechenden Hintergrund Angriffe auf die Haqqani-Taliban nicht dulden und schon gar nicht als Erfolg verkünden. Die Formulierungen des ISI und des Pentagon lassen vermuten, dass der Angriff auf Siraj und Mohammed Haqqani kein Zufall, sondern sorgfältig geplant war und ihm umfangreiche Geheimdienstinformationen zugrunde lagen.

Wenn der ISI davon im Vorfeld wusste, wovon auszugehen ist, hätte er mehr als genug Gelegenheit dazu gehabt, den Angriff scheitern zu lassen. Insofern kann man vorsichtig darauf spekulieren, dass in Pakistan tatsächlich ein grundlegender Gesinnungswandel stattfindet. Dieser Gesinnungswandel wird mit einiger Wahrscheinlichkeit davon getragen, dass die pakistanische Führung die pakistanischen Taliban zunehmend als Bedrohung für sich selbst versteht. Andererseits wird Pakistan nicht ohne Zugeständnisse und bestimmt nicht ohne Not mit den USA plötzlich gegen den sorgsam aufgebauten Verbündeten vorgehen. Finanzielle und materielle Zugeständnisse dürften hierfür wenig ausschlaggebend sein.

Da Regierungsvertreter aus Kabul und Islamabad nahezu zeitgleich zusammenhängende Erfolge im Kampf gegen die Taliban verkündeten, ist es naheliegend davon auszugehen, dass die USA die Rolle Pakistans in Afghanistan langfristig aufzubauen und eine Nähe zwischen Kabul und Islamabad demonstriert werden soll, die für die Zukunft produktiv erscheint. Wenn den USA daran nicht gelegen wäre, hätten sie das nicht zugelassen. Insofern erscheint die Theorie eines geheimen Abkommens zwischen Pakistan und den USA Afghanistan betreffend immer wahrscheinlicher. Dazu kommt, dass der Telegraph heute Generalleutnant Talat Masood zitiert. Masood ist inzwischen pensionierter Offizier der pakistanischen Armee, der der Führung in Islamabad sehr nahe steht. Er sagte:
"These are very significant arrests because the level of co-operation has improved so much there's a feeling in the present military that while the Taliban have a role in Afghanistan, we don't want to antagonise them, but we don't want to befriend them to the point where they harm our interests. If they're not prepared to negotiate or listen to us, we can't have them as our friends."

Generalleutnant Talat Masood
Masood sagte aber auch, dass während der Afghanistankonferenz in London vergangenen Dezember der Durchbruch erzielt wurde, als die strategischen Interessen Pakistans in Afghanistan anerkannt wurden. Wenn die USA und ihre Alliierten auf einer gemeinsamen Konferenz die "strategischen Interessen" Pakistans anerkennen, dann kann man davon ausgehen, dass dort zwischen den Alliierten und Pakistan eine Übereinkunft geschlossen wurde, die die Rolle Pakistans in Afghanistan für die Zeit nach dem Abzug des Militärs betrifft. Es ist nur wahrscheinlich, dass diese Übereinkunft auch darauf abzielt zu verhindern, dass Pakistan zu einem "failed state" wird, wie in der Vergangenheit mehrfach spekuliert wurde. Das bedeutet, dass wahrscheinlich alle an dieser Konferenz beteiligten Staaten auf die eine oder andere Art Abkommen mit Pakistan geschlossen haben, die langfristig die internationalen Beziehungen zu Pakistan verbessern sollen.

Zusammenfassend bedeutet das wohl, dass die Taliban jetzt von zwei Seiten aus unter massivem Druck stehen und ihr ehemals sicheres Rückzugsgebiet in Pakistan zunehmend unsicher wird. Dass die Alliierten Pakistan zur Mitarbeit überzeugen konnten, ist ein Fortschritt, den man gar nicht hoch genug bewerten kann, auch wenn abzuwarten bleibt, welcher Preis dafür zu zahlen sein wird. Insgesamt lässt diese Entwicklung jedoch einen positiven Ausgang des Engagements in Afghanistan immer wahrscheinlicher werden.

Donnerstag, 18. Februar 2010

Erfolg - Für wen?

Heute Nacht spekulierte ich noch darüber, ob es weitere gemeinsame Zugriffe seitens CIA und ISI geben wird und zack, schon passiert. Mullah Abdul Salaam (teilweise auch "Salam"), Führer der Alizai, wurde in Pakistan verhaftet, wenn auch offenbar schon vor einigen Tagen. Unklar ist, wo genau er verhaftet wurde. Laut SPON war es in Peshawar (das wäre nahe der Grenze zu Afghanistan), Newsweek behauptet, es wäre in Faisalabad passiert (das wäre deutlich weiter im Süden nahe zur Grenze nach Indien) und beruft sich dabei auf Quellen bei den Taliban. Es sieht sehr danach aus, als gäbe es zwischen der Festnahme von Baradar und Salaam eine Verbindung, eventuell sogar mehr als eine.

Dieselben Quellen, die gegenüber Newsweek die Festnahme bestätigten, gaben an, dass Salaam auf dem Weg zu einem Treffen mit Baradar gewesen sei. Die Verbindung zwischen Salaam und Baradar ist zwar insofern offensichtlich, als das sich die Anführer der Taliban häufiger treffen und Salaam seine Befehle direkt von der Quetta Shura empfing. Aber wie Baradar so gilt auch Salaam als einer derjenigen Anführer der Taliban, die grundsätzlich zu Verhandlungen bereit sind. Bereits 2008 berichtete der Telegraph darüber, dass die afghanische Regierung in Verhandlungen mit Salaam und den Alizai stand. Damals wurde versucht, die Streitigkeiten innerhalb der Clan-Strukturen auszunutzen, um so die Taliban zu zersplittern. Die Verhandlungen scheiterten und aus Kreisen der Stammesältesten wurde bekannt, dass die Taliban versuchten, Salam wegen seines bevorstehenden Seitenwechsels zu ermorden.
"Maullah Abdul Salaam ist sehr einflussreich und hat die Unterstützung tausender seines Stammes." "Als die Taliban erfuhren, dass er der afghanischen Regierung beitreten will, haben sie vor drei Tagen versucht ihn umzubringen. Aber sie sind gescheitert."

Haji Saleem Khan, Führer der Alizai Shura, im Oktober 2008
Es ist offensichtlich, dass es auch bei dieser Festnahme eine Zusammenarbeit zwischen US Geheimdienst und ISI gegeben hat, denn ein hoher Beamter aus Kreisen des US Geheimdienstes sagte gegenüber Newsweek:
"Thanks to solid intelligence work and some courageous partners in Pakistan, this hasn't been a good time for the leadership of the Afghan Taliban"
Man beachte, dass eben nicht gesagt wurde, dass die Festnahme allein der Geheimdiensttätigkeit Pakistans zu verdanken ist, sondern allgemein von "solider geheimdienstlicher Tätigkeit" gesprochen wird. Warum wohl?

Interessant wird die Festnahme von Salaam vor den Hintergrund, dass auch Abu Waqas, ein Anführer pakistanischer Talibankämpfer in Bajaur verhaftet wurde (Daily Mail berichtet) und zwar in - man höre und staune - Karachi. Die Festnahme eines eher untergeordneten Anführers pakistanischer Taliban passt gut zur Theorie des Bauernopfers, während die Festnahme Salaams zum Nachdenken darüber anregt, warum ausgerechnet ein weiterer verhandlungsbereiter Taliban hochgenommen wurde. Unklar ist im Moment, in welcher Beziehung Waqas zu Baradar steht. Da er sich auch in Karachi aufhielt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass er vom Aufenthalt Baradars wusste. Hat er mit der grundsätzlichen Idee Baradars sympathisiert, dass Verhandlungen möglich sein müssen? Und welches Spiel spielt Pakistan dabei? Solange die Taliban unter Jalaluddin Haqqani unangetastet bleiben, sind Zweifel an den Motiven der pakistanischen Führung durchaus angebracht, denn der ISI betrachtet Haqqani von Anfang an als "ihren Mann" und seine Orgenaisation bleibt in Pakistan bislang unangetastet.

Wenn es sich bei Baradar und Salaam tatsächlich um - aus Sicht der Taliban - potenzielle Überläufer handelt, dann wäre ihre Festnahme eine Art interne Säuberungsaktion. Da keiner der Festgenommenen direkt mit Haqqani verbunden ist, wären alle drei aus Sicht Pakistans eher unbedeutend und damit "entbehrlich". Solange Pakistan den USA bloß ein paar Figuren in den Rachen wirft, die für die Taliban und Pakistans Führung eher lästig oder unbedeutend sind, kann man kaum davon sprechen, dass innerhalb des ISI und der Regierung ein Gesinnungswandel einsetzt. Das wiederum wirft ein sehr seltsames Licht auf die "Erfolge", die man im Kampf gegen die Taliban erzielt in Pakistan haben will.

Ein Bauernopfer?

Die New York Times berichtete, dass der kürzlich verhaftete "zweite Mann" der al-Qaida, Abdul Ghani Baradar, seitens offizieller amerikanischer Regierungsstellen als "bedeutsamste Figur der Taliban" bezeichnet wird, die bisher überhaupt festgenommen werden konnte. In dem jetzt mehr als acht Jahre andauernden Krieg in Afghanistan konnte bislang keine so bedeutsame Führungsperson festgesetzt werden. Wir sprachen bereits darüber.

Inzwischen haben sich auch die Taliban zu der Festnahme geäußert. Am Dienstag behauptete ein Sprecher der Taliban:
"Das ist bloß ein Gerücht, das von den Ausländern verbreitet wird, um die Aufmerksamkeit von der Offensive in Marja abzulenken." "Sie sehen sich in Marja großen Problemen gegenüber. Tatsächlich ist gar nichts dran an der Festnahme von Baradar. Er ist in Sicherheit und frei und er ist in Afghanistan."

Zabiullah Mujahid
Die Kooperation zwischen CIA und ISI lässt erahnen, dass sich das Verhältnis zwischen Pakistan und Amerika verändert. Nach Angaben amerikanischer Regierungsvertreter sind maßgebliche Führungspersonen in Pakistan, unter anderem der Chef der Armee, General Ashfaq Parvez Kayani, langsam zu der Überzeugung gelangt, dass sie die Taliban nicht mehr länger unterstützen können - wie sie es im Stillen seit Jahren getan haben - ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Dafür spricht auch, dass offizielle amerikanische Stellen schon länger darüber spekuliert haben, dass der ISI Baradar bereits vor langer Zeit hätte festnehmen können.

Offizielle Vertreter amerikanischer Geheimdienste vermuten, dass bestimmte Elemente des ISI die Taliban heimlich mit Geld und logistischer Hilfe unterstützt haben, damit Pakistan nach dem Abzug der Amerikaner in Afghanistan Verbündete haben wird. Brisant wird dieser Vorwurf unter anderem durch die Tatsache, dass amerikanische Geheimdienste dem ISI bereits mehrfach präzise Informationen über Aufenthaltsorte von ranghohen Taliban mitgeteilt haben, der ISI sich jedoch üblicherweise weigert irgendetwas zu unternehmen. Es sieht aber inzwischen wohl so aus, als wenn man in Pakistan erkannt hat, dass die Taliban langfristig die Regierung in Pakistan gefährden, was wiederum erklären würde, warum der ISI plötzlich mit der CIA kooperiert und sich offen gegen die Taliban stellt.

Dieser Wandel korreliert mit den seit Monaten kursierenden Gerüchten, dass eine stetig wachsende Zahl von Führern der Taliban nach Pakistan und besonders nach Karachi geflohen sein sollen. Ein Diplomat in Kabul sagte in einem Interview vor über einem Monat, dass sich selbst Mullah Omar in Begleitung einiger "Kollegen" inzwischen in Karachi aufhalten sollte. Baradar als einen solchen "Kollegen" anzusehen ist mehr als gerechtfertigt. Dazu passt auch, was der frühere offizielle Vertreter der Taliban in Kabul, Wahid Muzhda, der den Kontakt zu seinen ehemaligen Regierungskollegen aufrecht erhält, über die Schattenregierung der Taliban sagt.

Nach seinen Aussagen trifft sich das Gremium, das aus mehr als einem Dutzend der bestbekannten Führungsköpfe der Taliban besteht, alle drei bis vier Monate. Bei diesen Treffen werden politische, religiöse und militärische Entscheidungen getroffen. Vor drei Jahren soll - so Muzhda - dieses Gremium aus 19 Mitgliedern bestanden haben. Inzwischen wurden sechs getötet oder verhaftet und andere sind geflohen. Allerdings wurden die Ausfälle wieder ersetzt.

Ein führender Vertreter der Nordallianz, jener Gruppe Taliban, die mit den US Streitkräften zusammenarbeitet, sagte, dass im November 2001, nach der Invasion der USA und dem folgenden Zusammenbruch der Streitkräfte der Taliban, Baradar und einige weitere führende Köpfe der Taliban von der afghanischen Miliz verhaftet worden sind. Der pakistanische ISI habe sich jedoch eingeschaltet und die Freilassung der Verhafteten erzwungen.

Stellt sich die Frage, was das Umdenken in Pakistan ausgelöst hat. Die Bemühungen der Amerikaner alleine werden es mit einiger Sicherheit nicht sein, denn die waren schon seit ganz langer Zeit auf hohem Niveau - finanziell, materiell und personell. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Führung in Islamabad erkannt hat, was aus den pakistanischen Taliban geworden ist. Zwar hoffte man, durch die Unterstützung der pashtunischen Taliban den pakistanischen Einfluss in Afghanistan zu vergrößern. Aber inzwischen sind pakistanische Regierungseinrichtungen und Politiker selbst zum Ziel von Bombenanschlägen und anderen terroristischen Angriffen geworden. Man hat erkannt, dass genau jene Taliban, die man sich als Verbündete aufzubauen erhoffte, es sich offenbar zum Ziel gesetzt haben, die Regierung Pakistans zu stürzen, was folgerichtig zu einer strategischen Neubewertung des Wertes eben jener Verbündeten führen musste. Nur in diesem Kontext ist der plötzliche Gesinnungswandel in Pakistan erklärbar.

Aber ist das wirklich alles? Ist das wirklich der Grund? Diese Motivation ist so offensichtlich, dass es schon fast dazu zwingt sie als alleiniges Motiv infrage zu stellen. Pakistan will seinen Einfluss in Afghanistan festigen, um Indien zuvor zu kommen. Für Pakistan wäre es eine Katastrophe, wenn es Indien gelänge, ein zukünftiges, stabiles, Afghanistan auf seine Seite zu ziehen. Genau das war der Grund, warum Pakistan die Taliban überhaupt erst unterstützt hat. Die Überlegung, dass sich ein stabilisiertes Afghanistan mit Indien verbünden könnte, ist nicht so ganz abwegig, denn immerhin gilt Indien als Verbündeter der USA und die USA als Hauptverantwortlicher des Afghanistanfeldzuges werden letztendlich darüber bestimmen, wer welchen Teil des Kuchens vom Wiederaufbau zugeteilt bekommt - siehe Irak, Kuweit, etc.

Es ist deshalb kaum anzunehmen, dass sich die Interessen Pakistans verändert haben, denn die Ausgangslage hat sich ebenfalls nicht verändert. Es sei denn, die USA haben mit Pakistan einen Deal vereinbart, der Pakistan zukünftig eine besondere Rolle in Afghanistan garantiert. Es wäre von großem Vorteil für Amerika, wenn Pakistan im Kampf gegen die Taliban massiv und eindeutig auf seiner Seite wäre. Der Beginn des Truppenabzugs in rund 18 Monaten ist ein Zeitfenster, dass selbst die gewählte Regierung in Kabul unter Karzai mit wenig Zuversicht sieht. Karzai geht selber davon aus, dass es noch mindestens 10 bis 15 Jahre dauern wird, bevor Afghanistan sich ohne fremde militärische und finanzielle Hilfe wirklich selbst verwalten können wird.

Für alle drei, Afghanistan, Pakistan und auch Amerika wäre es von Vorteil, wenn sich Pakistan massiv in den Konflikt einschaltet. Pakistan könnte den Taliban nicht nur die Unterstützung entziehen, sondern auch - wie gerade geschehen - durch z. B. gemeinsame Aktionen mit den US Geheimdiensten die Führungsspitze der Taliban ausdünnen. Wenn gleichzeitig deren Bastionen im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan angegriffen werden, dann hilft Pakistan nicht nur aktiv dabei Afghanistan zu stabilisieren und ein Ende der Kämpfe zu erzwingen, sondern verbessert gleichzeitig auch noch langfristig sein Verhältnis zu den USA.

Die USA wiederum erhielten auf diesem Wege nicht nur militärische und geheimdienstliche Unterstützung in Pakistan, sondern könnten gleichzeitig auch sehr davon profitieren, wenn sich das Verhältnis zu Pakistan verbessert. Immerhin regiert in Pakistan das Militär und das hat eigene Atomwaffen zur Verfügung, ebenso wie Indien. Im Gegensatz zu Indien gilt Pakistan aber nicht als Verbündeter der USA. Deshalb ist Pakistan nicht unbedingt ein Staat, den man gegen sich haben möchte, selbst dann nicht, wenn man die USA ist.

Andererseits kann es aber auch sein, dass es ganz andere Hintergründe gibt. Baradar wurde in Karachi und nicht in Quetta, Peshwar oder in den autonomen Stammesgebieten festgenommen. Von daher könnte es gut sein, dass die Operation zwar als "gemeinsam mit dem ISI" verkauft wird, tatsächlich aber alleiniger Verdienst der US Geheimdienste ist. Politisch wäre es natürlich unklug einen solchen Alleingang als eben solchen zu präsentieren. Ein "Joint Venture" wäre eine naheliegende Vertuschung, die nicht zu weit von den wirklichen Ereignissen weg wäre, als das man sich später in irgendeiner Form in Widersprüchen verzetteln müsste. Die Tatsache, dass Baradar von Mitarbeitern der US Geheimdienste verhört wird, während er sich in Pakistan, in der Hand pakistanischer Sicherheitskräfte befindet, unterstützt diese Theorie. Wenn diese Theorie zutreffend wäre, würde das bedeuten, dass die USA ihre verdeckten Operationen in Pakistan verstärkt hätten.

Eine weitere denkbare Theorie wäre, dass Baradar von General Kayani geopfert wurde, um Omar eine eindeutige Warnung zukommen zu lassen. Mit der Festnahme würde Omar deutlich gemacht, dass die Taliban der Quetta Shura besser nicht jene Linie überschreiten, die von Rawalpindi gezogen wurde. Das würde die Taliban zum Beispiel dazu zwingen, mit den USA zu verhandeln und sich ernsthaft mit der Regierung Karzai auseinander zu setzen. Vielleicht war es aber auch genau das, nämlich geheime Gespräche zwischen dem als eher gemäßigt eingestuften Baradar und der Regierung Karzai und den Streitkräften der USA, wie der Economist vermutet. In jedem Fall bedeutet diese Theorie, dass die Regierung Pakistans zu extremen Maßnahmen greift, um die Taliban in ihre Schranken zu weisen.

Noch eine andere denkbare Theorie wäre, dass Baradar nur deshalb geopfert wurde, um den ständig wachsenden Druck seitens der USA von der pakistanischen Regierung zu nehmen. Das wäre zwar denkbar und plausibel, lässt jedoch die unangenehme Frage im Raum stehen, wer sich sonst noch alles in Karachi versteckt. Wäre diese Theorie zutreffend, sähe sich Pakistan einer ganzen Reihe von Problemen ausgesetzt, die nicht ignoriert werden können, denn mit der Festnahme von Baradar haben die USA jetzt den ultimativen Beweis dafür in der Hand, dass die Taliban sich nahezu frei in Pakistan bewegen können. Das wiederum könnte die Rolle und den Einfluss Pakistans auf der internationalen Ebene maßgeblich schwächen und am Ende dazu führen, dass sich Pakistan plötzlich selbst auf der Liste derjenigen Staaten wiederfindet, die den internationalen Terrorismus nicht nur fördern, sondern auch noch schützen. Angesichts der Atomwaffen in Pakistan ein nicht eben erstrebenswertes Szenario, aber dennoch ist auch diese Theorie plausibel.

Letztlich könnte natürlich auch Pakistan einfach beschlossen haben, dass sie die Quetta Shura Taliban los werden wollen. Das hätte nicht unbedingt etwas mit einem Gesinnungswandel zu tun, wie es der Guardian vermutet, sondern wäre nichts Anderes als eine Neubewertung des strategischen Wertes jener Gruppierung. Für Pakistan sind die Quetta Shura Taliban zwar von Bedeutung, sehr viel wichtiger ist aber die Haqqani Miliz. Zwar ist diese Theorie nicht völlig von der Hand zu weisen und damit theoretisch im Bereich des Möglichen - besonders in Bezug auf Pakistan muss man immer mit nahezu allem rechnen - aber nicht eben wahrscheinlich.

Ich halte die Theorie des geheimen Deals mit Pakistan für die wahrscheinlichste Lösung, wobei ich allerdings auch die Option des Druckabbaus als nicht völlig unsexy ansehe. Ich bin echt gespannt, wie sich das weiter entwickelt.

Dienstag, 16. Februar 2010

Vorsichtiger Optimismus

In den deutschen Medien wurde heute im Laufe des Tages gemeldet, dass Mullah Baradar Abdul Ghani Akhund in Karachi (nein, nicht "Karatschi" (SPON), "Karatchi" (Focus), "Karadschi" (Berliner Zeitung) und erst recht nicht "Karadji" (ein Bekannter von mir) oder sonst was; wer es nicht glaubt: Siehe Auswärtiges Amt für die offizielle Schreibweise) festgenommen wurde. Nur weiter unten, fast schon in einem Nebensatz, wurde in den deutschen Medien überhaupt erwähnt, dass die Festnahme ein Joint Venture von ISI und CIA war. Sowohl Ort der Festnahme als auch die Beteiligten sind jedoch mehr als bemerkenswert. Inzwischen ist die Nachricht in Deutschland fast wieder in der Versenkung verschwunden, obwohl es sich lohnt ein wenig über sie nachzudenken - vorausgesetzt man interessiert sich dafür, was da so los ist.

Karachi liegt weit entfernt von Afghanistan und sowohl Taliban als auch pakistanische Regierungskreise haben sich immer wieder bemüht zu betonen, dass die sich radikalislamischen Taliban aus dem pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet nie so tief im Hinterland Pakistans aufhalten würden. Karachi liegt gut 600 Kilometer Luftlinie von der nächstgelegenen Grenze zu Afghanistan entfernt. Mit der Festnahme von M. Baradar dürfte diese Behauptung endgültig widerlegt sein, was wohl einigen Politikern in Islamabad erhebliches Kopfzerbrechen bereiten wird, denn Karachi ist nicht nur die größte Hafenstadt Pakistans, sondern auch das Finanzzentrum des Landes. Und es liegt sehr nah an Indien.

Der ISI (Inter-Service Intelligence, militärischer Geheimdienst Pakistans), der nicht eben den besten Stand bei den westlichen Alliierten hat und seinerseits die US-Geheimdienste auch nicht gerade als "liebe Freunde" bezeichnet, dürfte kaum von alleine eine Zusammenarbeit mit der CIA angeregt haben. Mit einiger Sicherheit wurde diese gemeinsame Operation auf anderem Wege "angeregt". Oder vielleicht sollte man treffender sagen: "erkauft". Es dürfte interessant sein abzuwarten, was die USA für diese Festnahme zahlen werden.

M. Baradar ist - oder besser: war - mit einiger Sicherheit der Kopf der Quetta Shura, die wiederum für einen Großteil der im Süden Afghanistans verübten Anschläge verantwortlich ist. Ob die Festnahme ein Grund ist davon auszugehen, dass die Anschläge in der Region jetzt weniger werden, ist unklar, denn in der Vergangenheit haben die Taliban Verluste innerhalb ihrer Führungsspitze weitestgehend problemlos und nach außen hin auch ohne sichtbare Folgen kompensieren können. Man denke dabei nur an Mullah Dadullah, Baitullah Mehsud, Mullah Haji Amir und so weiter. Trotz der Verluste innerhalb des Führungszirkels haben die Taliban den Kampf nicht nur aufrechterhalten, sondern zum Teil sogar ausgeweitet und verstärkt.

Vor diesem Hintergrund dürfte die Festnahme zumindest nicht unwichtiger ein symbolischer Erfolg sein, denn ob sich daraus unmittelbar praktische Konsequenzen für den (nach Lesart der Bundesregierung) bewaffneten Konflikt in Afghanistan ergeben, wird sich bestenfalls mittelfristig zeigen können. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Situation unter dem mit Sicherheit sehr bald auftretenden Nachfolger von M. Baradar sogar noch verschlechtern wird.

Baradar hat das Benimm Handbuch der Taliban geschrieben, dass einige der schlimmsten Exzesse der Taliban begrenzen sollte. Er kann daher schon fast (aber eben nur fast) als einer der gemäßigteren Extremisten angesehen werden und die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass genau das in Afghanistan manchmal passiert: Das Ausschalten von Nek Mohammed brachte Baitullah Mehsud an die Macht, dem unter anderem der Mord an Banazir Bhutto zugeschrieben wird. Man wird abwarten müssen.

Es könnte auch sein, dass die Festnahme von Baradar eine Eröffnungszug seitens der Alliierten und Pakistan ist, um die radikalislamischen Taliban, besonders Mullah Mohammed Omar, an den Verhandlungstisch zu zwingen, denn auch wenn die Festnahme keine unmittelbaren praktischen Folgen haben muss, so wird Baradar doch eine nicht zu verachtende Quelle taktischer und strategischer Informationen sein und dadurch zu einem zumindest kurzfristig extrem wertvollen Werkzeug.

Unabhängig davon, ob die Festnahme von Baradar nun konkrete Auswirkungen auf die Vorgänge in Afghanistan und Pakistan haben wird, dürften die unmittelbar betroffenen Organisationen den Verlust nicht "mal eben" wegstecken können und eine Menge Unruhe verursachen. Schon aus dieser Sicht kann die Festnahme als "Erfolg" gewertet werden. Zusätzlich wird die erfolgreiche Zusammenarbeit amerikanischer und pakistanischer Geheimdienste in Pakistan erhebliche Auswirkungen auf die Sichtweise der pakistanischen Bevölkerung haben, die den Amerikanern bislang sehr misstrauisch gegenüber stehen und die Amerikaner eher als destabilisierende Kraft im Lande wahrgenommen haben. Außerdem hat Obama jetzt einen der von ihm geforderten vorzeigbaren Erfolge, um im eigenen Land (und auch international) den Einsatz mit eben solchen Erfolgen zu rechtfertigen.

Die Rolle des ISI, dem häufiger nachgewiesen wurde, dass zumindest einige seiner Teile mehr oder weniger offen mit den Taliban sympathisieren, ist dagegen weniger durchschaubar. Zwar könnte man vermuten, dass der ISI zur Kooperation gezwungen war, allerdings hat sich der ISI schon häufiger politischer Einflussnahme erfolgreich entzogen. Es ist nicht völlig von der Hand zu weisen, dass Baradar eine Art Bauernopfer war. Eventuell wurde er sogar ganz bewusst wegen seiner gemäßigteren Tendenzen ausgewählt, um die Taliban vor inneren Flügel- und Machtkämpfen zu schützen. Andererseits würde das bedeuten, dass die Taliban die letzten zwei Jahre, in denen Baradar die Nummer zwei nach Omar war, als Fehlentwicklung beurteilten, was wiederum ganz andere, weitreichende Konsequenzen hätte.

Es ist vielleicht zu früh, wegen dieser Festnahme die Sektkorken knallen zu lassen und das Ende des Krieges bewaffneten Konfliktes zu feiern, aber vorsichtiger Optimismus ist doch schon angesagt.

Montag, 15. Februar 2010

Rosenmontag 2010 in Oldenburg

Lange nicht mehr gemacht, aber ich glaub, das passt ganz gut zu meiner Gefühlslage gerade...

Irgendwo muss es ja herkommen

Über unseren Außenminister Westerwelle lässt sich bestimmt eine Menge sagen. Seine grundsätzliche Idee, dass der arbeitende Teil der Bevölkerung von seinem Gehalt mehr haben sollte, als derjenige Teil, der von den Leistungen der Solidargemeinschaft lebt, ist im Kern nicht verkehrt. Es ist tatsächlich schwierig zu vermitteln, dass die aktive Teilnahme am Wertschöpfungsprozess lohnenswerter ist als die passive Partizipation an den Leistungen der Sozialgemeinschaft, wenn der, der nicht arbeitet, am Ende besser versorgt ist, als der, der arbeitet.

Wie gesagt: Die grundsätzliche Idee halte ich nicht für vollkommen falsch. Was mich aber doch ein ganz klein wenig auf die Palme bringt, ist die Diskrepanz zwischen politischer Parole und der Realität. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte unser Außenminister:
Von den ersten 100 Tagen der neuen Bundesregierung haben am allermeisten die Familien profitiert. Wir haben das Kindergeld pro Kind um 20 Euro erhöht, das sind immerhin auch im Monat empfindliche Beträge. Und wir haben die Kinderfreibeträge auch entsprechend erhöht. Das zeigt doch, dass wir, auch dass ich ganz persönlich, der Auffassung bin: Familien, die Rolle von Kindern - das muss im Mittelpunkt von Politik stehen.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP)
So so. Die Familien haben also profitiert. Die Rolle von Kindern steht im Mittelpunkt. Sehr interessant. Nun, ich habe selber Nachwuchs. Wie heutzutage nicht vollkommen unüblich lebe ich weder mit der Mutter noch dem Kind zusammen. Ich bin einer der vielen Unterhaltsleister. Anfang des Jahres wurde dieser Unterhalt "mal eben" um nur noch gut 10% angehoben. Nicht etwa wegen einer neuen Altersstufe, sondern "einfach so", weil man eben neue Berechnungsgrundlagen geschaffen hatte (Düsseldorfer Tabelle). Ich will mich nicht darüber beschweren, dass ich Unterhalt zahlen muss, denn das Geld kommt unmittelbar meinem Sohn zugute.

Dachte ich zumindest. Als ich mich die Tage mit der Mutter meines Sohnes unterhielt (ja, ich habe ein recht gutes Verhältnis zu ihr), sprachen wir über dieses Thema. Das Thema Geld ist bei uns beiden nicht gerade ein Tabu und wir wissen recht gut, wie es um den jeweils Anderen bestellt ist. Als wir auf den gestiegenen Unterhalt zu sprechen kamen, äußerte ich die Hoffnung, dass dieses Geld wenigstens etwas helfen könnte die Situation zu verbessern. Die Mutter meines Sohnes ist - wie viele alleinerziehende Mütter - auf Hartz IV angewiesen und bildet sich zurzeit fort, um im Anschluss an diese Fortbildung wieder eine Arbeit aufnehmen zu können. Ihre Antwort machte mich sprachlos.

Natürlich bekommt mein Sohn jetzt mehr Geld. Auch das Kindergeld ist angehoben worden. Aber wir leben in einem Land, in dem das Prinzip der Solidaritäts- und Unterhaltspflicht nicht nur in absteigender, sondern auch in aufsteigender Linie gilt. Mit anderen Worten: Was mein Sohn an Mehr bekommt, wird auf den Satz seiner Mutter angerechnet und genau diesen Mehrbetrag bekommt sie weniger.

Angesichts dieser Realität gewinnt folgende Aussage von Herrn Westerwelle im selben Interview wie oben eine ganz neue Qualität:
"Ich habe eine sehr positive Haltung dazu, dass vor allen Dingen die Rolle der Kinder in unserer Gesellschaft gestärkt wird."

Außenminister Guido Westerwelle (FDP)
Ja, die Rolle der Kinder wird gestärkt. Die Rolle als Geldquelle.

Der falsche Klick

Das OLG Hamburg fällte heute ein Urteil (AZ: 2-27/09 REV), das bei vielen Computerbenutzern auf die eine oder andere Art für Aufmerksamkeit sorgen wird. In einem Verfahren, in dem es um den Besitz um Kinderpornographie ging, musste das OLG in einem Revisionsverfahren darüber entscheiden, ob es maßgeblich für den "Besitz" ist, dass die auf dem Computer gespeichert werden. Die bisherige Rechtsprechung urteilte, dass straffrei ausging, wer entsprechendes Material auf seinem Rechner betrachtete, ohne entsprechende Daten auf den Rechner herunterzuladen und zu speichern.

Nach Ansicht des OLG Hamburg ist bereits das Betrachten (!) von Kinderpornographie auf Internetseiten strafbar. Das Vorhandensein der Daten im Arbeitsspeicher eines Rechners, auch ohne manuelles Abspeichern, mache den Benutzer zum Besitzer der Daten im Sinne der Rechtsprechung. Nach Auffassung des OLG reicht das vorsätzliche (aka: das bewusste und gewollte) Abrufen und Betrachten von Daten mit kinderpornographischem Inhalt aus, um den Straftatbestand des Besitzes zu erfüllen. Nach Auffassung des Gerichts hat der Benutzer bereits beim Aufrufen der Daten die volle Verfügungsgewalt über diese Daten.

Der vorsitzende Richter G. Harder spricht dem Urteil eine große rechtspraktische Bedeutung für den Alltag zu. Der Wille des Gesetzgebers in Bezug auf den Begriff des "Besitzes" müsse auch bei nicht körperlichen Dingen wie Daten aus dem Internet gelten. Zwar habe der Gesetzgeber die Lücke erkannt, die politische Diskussion um dieses Problem jedoch eingeschlafen.

Ohne Frage hat dieses Urteil sehr weitreichende Konsequenzen. Wenn das Vorhandensein von Daten im Arbeitsspeicher des Rechners bereits den Besitz qualifiziert, dann gilt das nicht nur für Kinderpornographie. Das Urteil wurde zwar speziell für einen solchen Fall gesprochen, aber der Tenor ist das Entscheidende. Der Auffassung dieses Urteils folgend gilt der Besitz demnach auch für Webstreams, die auf einem Rechner abgespielt werden. Das wiederum dürfte besonders die Medienindustrie interessieren, der bereits seit langer Zeit Webradios und die in jüngerer Vergangenheit zunehmend beliebter werdenden Film-Portale ein Dorn im Auge sind.

Erhebliche Probleme dürfte es für den Benutzer geben, wenn es um die Frage des Vorsatzes geht. Wie will man nachweisen, dass man einen Link "aus Versehen" angeklickt hat oder wie will man beweisen, dass sich das Fenster ohne eigenes Zutun öffnete? Was wenn man gar nicht weiß, dass entsprechende Daten im Hintergrund über den eigenen Rechner transportiert werden, etwa weil man einen Proxy betreibt oder der eigene Rechner gehackt wurde? Zwar schafft das Urteil insofern Rechtssicherheit, als dass Kinderpornographie in Zukunft noch besser bekämpft werden kann, aber es schafft auch erhebliche Unsicherheit für den Anwender.

Ich frage mich ernsthaft, wie man als Anwender beweiserheblich dokumentieren und nachweisen soll, was auf dem Rechner mit Wissen und Wollen des Anwenders passiert. Ich meine, man hat ja schon wenig Einfluss darauf, was eine Webseite, die man öffnet, für Inhalte präsentiert. Wie soll ein Anwender, der keine Ahnung von Computern hat, nachweisen, dass er eben nicht weiß, was für Programme auf seinem Rechner installiert sind, geschweige denn, was diese tun?

Irgendjemand eine Idee?

Sonntag, 14. Februar 2010

Staat als Hehler?

Bei meiner morgendlichen Runde fand ich eine Aussage eines australischen Gerichts, die ich für zumindest bemerkenswert halte:
"copyright laws do not apply to collections of facts, regardless of the amount of effort that was spent collecting them."
Mit anderen Worten: Der Inhalt einer Datensammlung (Datenbank z. B.) ist in Australien dann nicht urheberrechtlich geschützt, wenn die darin stehenden Daten Fakten sind. Prominentestes Beispiel wären Adressbücher und Branchenverzeichnisse. Das fand ich schon bemerkenswert und dachte mir meinen Teil.

Dann jedoch fand ich an anderer Stelle folgendes:
"Da Daten anders als Autos oder Handys keine Sachen sind, kann man sie nicht stehlen. Und wo es keine gestohlene Ware gibt, da gibt es auch keine Hehlerei."

bayrische Justizministerin Beate Merk (CSU)
Und in der Tat: Die Dame hat Recht. Nach dem StGB §242 ist ein Diebstahl:
Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Der Knackpunkt ist tatsächlich der Begriff "bewegliche Sache". Das ist wortwörtlich zu nehmen. Was eine Sache ist, wird nach deutschem Recht über §90 BGB definiert. Dort heißt es:
§ 90 Begriff der Sache

Sachen im Sinne des Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände.
"Körperlich" bedeutet, salopp formuliert: "Wenn Du es anfassen kannst, ist es körperlich". Eine Sache ist nach dem Strafrecht "beweglich", wenn sie tatsächlich bewegt, von einem Ort an einen anderen gebracht werden kann. Den Tatbestand des Datendiebstahls wiederum kennt das deutsche Recht so nicht. In unserer Rechtsprechung ist die illegale Handhabung von Daten an die - man höre und staune - Verletzung des Briefgeheimnisses (§202 StGB) angehängt und in den §§ 202a bis 202c StGB zu finden. Auf den Fall der CD mit den Kontodaten angewandt kämen §202a oder §202b StGB zur Anwendung. Diese Paragraphen sind Spezialnormen und verweisen nicht auf den Diebstahl, d. h. es kann kein Diebstahl im Sinne des Gesetzes vorliegen.

Die Aussage der Ministerin, dass mangels Diebstahl keine Hehlerei gegeben sein kann, ist allerdings nicht ganz korrekt, denn §259 StGB führt zwar ausdrücklich den Diebstahl als Ursprungsstraftat an, jedoch steht dort ergänzend:
"(...) oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, (...)"
Damit sind alle illegalen Beschaffungswege abgedeckt. Der Haken ist allerdings auch hier die Sache, denn auch der §259 StGB setzt eine Sache voraus. Die CD mit den Daten ist ja nicht "gestohlen", sondern die Daten darauf wurden illegal beschafft. Das mag sich nach Wortklauberei anhören, aber genau solche Details sind in der Rechtsprechung von entscheidender Bedeutung.

So gesehen könnte man denjenigen, der diese Daten verhökert, vielleicht wegen des Ausspähens von Daten (202a) oder wegen des Abfangens von Daten (202b) verknacken, aber denjenigen, der sich diese Daten kauft, kann man offenbar nach deutschem Recht nicht belangen. Wenn ich mich richtig erinnere, dann ist genau diese Kombination aus geltendem Recht und nicht vorhandener Rechtsprechung auch der Grund, warum die Musikindustrie so sehr auf die Barrikaden geht. Sie spricht zwar von "Diebstahl", aber per jure ist das, was da passiert, "nur" eine Verletzung des Urheberrechts (siehe §106 Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke) und kein Diebstahl.

Man lernt halt nie aus...

Freitag, 12. Februar 2010

Schlimmer geht immer

Ich lese gerne und in letzter Zeit sogar wieder erstaunlich viel. Nicht nur im Netz, sondern dieses oldschool, prä-Internet, lowtech Zeugs aus Papier. Bücher. Bereichert mich sehr. Besonders Trivialliteratur empfinde ich sehr entspannend. Um so verstörender finde ich die Debatte um jene künstlich gehypte Plagiatorin des Ullstein-Verlags, die zu gab, dass sie sich nach eigenem Gusto bei anderen Autoren bedient hat und so ihr eigenes Werk zusammenbastelte. Der Verlag baut die Frage nach dem Urheberrecht um in eine Behauptung, die an Dreistigkeit kaum noch zu überbieten zu sein scheint:
"Originalität gibt's sowieso nicht, nur Echtheit." "Das, was wir machen, ist eine Summierung aus den Dingen, die wir erleben, lesen, mitkriegen und träumen."

Helene Hegemann
Der Verlag bemüht sich derweil hektisch darum, im Nachhinein von allen betroffenen Verlagen und Autoren Verwertungsrechte zu erwerben. Ob ihm das in allen Fällen gelingt, bleibt abzuwarten und es ist eine interessante Frage, was dieser Vorfall für die Urheberrechtssprechung und deren Handhabung insgesamt bedeutet. Gegenüber Normalsterblichen, die solcherart verfahren, wird gewöhnlich seitens der Rechteinhaber sofort Klage eingereicht und die Streitwerte übersteigen dann schnell mal eine halbwegs nachvollziehbare Grenze. Man erinnere sich nur an das Thema "mashup" und "Musik".

Wer jetzt aber glaubt, das "bottom out" sei erreicht, der hat die Rechnung ohne die Werbeleute des Verlags gemacht. Das Buch wird wie bescheuert in alle Bestsellerlisten geprügelt und die "Autorin" - oder sollte man besser sagen der Kopiererin? - auch noch für den Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Zu den Plagiatsvorwürfen befragt verkündete die nominierte Abschreiberin mit kaum nachzuahmender Chuzpe gegenüber der deutschen Presseagentur (dpa):
"Da wird eine jahrhundertealte Debatte auf meinem Rücken ausgetragen. Wenn wir so anfangen, können wir den ganzen Literaturbetrieb gleich dichtmachen"
Man könnte auch sagen: Wer privat klaut, ist ein Dieb, wer für die Industrie klaut, ist ein Künstler.

A propos "Kunst". Der Verlag macht übrigens sehr... wie soll ich sagen... "kreativ" Werbung für besagten Roman:

Schlimmer geht immer...