Deutschland freut sich. Dank des Drucks der Bevölkerung und Dank des gnadenlosen Einsatzes der Politiker erhebt die Bahn doch keine Gebühren auf den Ticketverkauf am Schalter. Jubel aller Orten. Wer jetzt fragt, wie kreuzblöd man allerdings sein muss, um genau jenen Politikern zuzujubeln, die dieses Unternehmen nicht nur verhökern wollen, sondern auch zur Profitablität zwingen und so überhaupt erst die Ursache für solche Preiseskapaden gesetzt haben, verschließt sich mir vollends. Ich bin da aber in guter Gesellschaft, denn anderen verschließt sich ja auch so manches.
Die USA zum Beispiel gelten ja als "Heilsbringer to come", sozusagen, denn sobald der böse Onkel George endlich in den Ruhestand geschickt wurde, wird ja alles besser. Wie das Wetter in La-La-Land wohl sein mag? Oder wem ist noch aufgefallen, dass sich die Amerikaner gerade um Kopf und Kragen reden? Während Obama noch verkündet, dass er "seine" Truppen ganz bestimmt aus dem Irak abziehen werde, verkündet er gleichzeitig eine Verstärkung der Truppen in Afghanistan. Sowohl Obama als auch sein Mitbewerber McCain reden da dieselbe Sprache, allerdings redet man bei McCain etwas deutlicher. Dessen designierte Viezepräsidentin Palin gab nämlich jüngst
zu Protokoll, dass die USA einem Waffengang mit Russland nicht unbedingt aus dem Weg gehen würden, wenn sich das Thema Kaukasus nicht anders lösen ließe.
Warum diese Hektik? Könnte das etwa damit zu tun haben, dass Russland zu seinen eigenen Schlüssen über die 'Stan-Staaten gekommen ist? Könnte es sein, dass Russland mit seiner kaum vorhandenen Erfahrung in der geographischen Region vielleicht irgendetwas weiß, was wir nicht wissen?
Gerade erst fragte Rumänien nach, ob man nicht auch so ein tolles Raketendingi haben könnte, wie es die Polen geschenkt bekamen. Man würde sich dann sicherer fühlen. Ich mein klar, denkt man an militärische Konflikte, dann steht ein Angriff mit Interkontinentalraketen auf Rumänien ganz weit oben auf der Liste. Oder geht es denen vielleicht um etwas Anderes?
Warum hat Russland erneut darauf hingewiesen, dass man den Versorgungskorridor der Truppen in Afghanistan, den Russland von Norden her offen hält, auch wieder zu machen könnte? Warum die plakativ beruhigenden Worte von oberster Führung der Nato, dass die Baltischen Republiken
keine Angst zu haben brauchen? Warum wird alles auf Russland abgestellt? Selbst dem letzten Hinterwäldler müsste klar sein, dass Russland mit ziemlicher Sicherheit keinen direkten Angriff auf Nato-Staaten wagen wird, solange es nicht dazu gezwungen wird. Andererseits ist auch hinlänglich bekannt, dass Russland auch großen Druck aus dem Westen sehr gut absorbieren kann. Es ist deshalb doch wohl mehr als fraglich, ob die Nato im Anbetracht der aktuellen Lage im Mittleren Osten auch noch einen Krieg mit Russland vom Zaun brechen wird. Ganz so blöd ist man auch da nicht.
Die Rolle, die Russland zunehmend spielt, muss in einem anderen Kontext verstanden werden. Die westliche Welt spielt immer weniger die erste Geige und wird immer mehr als Problem verstanden. Nicht von uns - wir sind ja "der Westen" - sondern von den Asiaten. China zum Beispiel baut nahezu unbemerkt von uns im Irak ein Gaskraftwerk. Ganz alleine. Ohne jede westliche Unterstützung oder Beteiligung. Die hat man nicht nur nicht in Anspruch genommen, die hat man sogar rundheraus abgelehnt. China liefert aber noch mehr in den Irak und das Engagement dort darf mit ruhigem Gewissen "bemerkenswert" genannt werden.
Die Amerikaner werden irgendwann aus dem Irak abziehen. 2011
vielleicht, wenn alles gut geht. Nicht weil sie wollen, sondern weil sie müssen. Sie sind unbeliebt, trotz aller Leistungen, die sie erbracht haben. Die Iraker wollen sie los werden. Aber so ganz alleine in der Welt ist ja auch doof, aber an wen wenden? Der Westen hat komische Ansichten und den Krieg gebracht und damit Kummer und Leid und außerdem haben die den falschen Glauben und die falschen Familien unterstützen die auch noch (Stichwort: Schiiten - Suniten). Wen gibt es denn sonst noch? Es wird bestimmt mit großem Wohlwollen bemerkt werden, dass die Chinesen sich zwar nicht am Krieg, dafür aber am Wiederaufbau beteiligen. So ein Kraftwerk ist ja nicht ganz unwichtig für ein Land. Es ist nicht völlig aus der Welt anzunehmen, dass sich der Irak eher in Richtung der geographisch wie ideologisch näher liegenden asiatischen Nachbarn orientieren wird.
Die Verbindung zum Iran ist ja auch nicht so ganz aus der Welt. Klar, die Amerikaner haben da richtig was gegen, denn der Iran will ja Atomkraftwerke bauen und den Westen nicht daran verdienen lassen, Sauerei sowas. Da muss man direkt draufhauen, sagt der Westen. Wie sehen das die Leute im Irak eigentlich? Erst Krieg im eigenen Land und dann auch noch bei den Nachbarn? Ob die das so toll finden? Man muss den Iran ja nicht unbedingt mögen, aber in der Region ist dieses Land schon eine Hausnummer mit erheblichem Einfluss, denn man schafft dort, was man schafft, überwiegend gegen den Widerstand des Westens. Sowas beeindruckt die Nachbarn schon.
Wo hat der Iran die Technologie eigentlich her? Aus Pakistan kam das. Von dort wurden seinerzeit die Baupläne und das gesammelte Know How frei Haus geliefert. Der Iran findet Pakistan darum wohl auch nicht unbedingt total doof, acuh wenn man dort die aktuelle Unruhe bestimmt auch nicht so geil findet. Mit Russland hat man sich ja auch schon einigermaßen öffentlich getroffen. Mit der Türkei, Syrien und einigen anderen Ländern übrigens auch. China hat ja wohl auch schon mal freundlich angeklopft. Wie sonst sollte
das Verhalten Chinas im UN-Sicherheitsrat zu verstehen sein? Immerhin kommen 14% des von China importierten Öls aus dem Iran.
Angenommen Russland weiß, dass die durch die USA am Leben gehaltene Regierung Karzai in Kabul dem Untergang geweiht ist. Angenommen Russland weiß, dass das Grenzgebiet Pakistan-Afghanistan auf absehbare Zeit nicht zu befrieden ist, wenn diese Regierung untergeht. Angenommen Russland versteht das Engagement des Westens in der Region in einem anderen Kontext. Erinnert sei nur an den grandios publikumswirksamen Erfolg zuzugeben, dass der Amerikanische Präsident angeordnet hat, sich einen Scheiß um die territoriale Integrität Pakistans zu kümmern und eigene Truppen dort nach gut dünken schalten und walten lässt.
Vergleicht man dieses Vorgehen der Amerikaner mit dem Vorgehen der Russen in Georgien, fallen schon Unterschiede auf. Die Russen haben sich an bestehende Verträge gehalten. Die Russen haben auch gar nicht versucht, irgendeine Ideologie zu verbreiten oder eine Regierung zu stürzen. Sie haben nur versucht, eine Region zu retten und für Ruhe zu sorgen. Was aber ganz bestimmt bei den entscheidenden Leuten besonders registriert wird: Die Russen waren
erfolgreich. Sie haben bewiesen, dass sie seit ihrem eigenen Engagement in Afghanistan dazugelernt haben.
In Pakistan hat man bestimmt auch schon vergessen, dass
Indien hofiert wurde und von den Amerikanern trotz (oder gerade wegen?) des Atomwaffensperrvertrages in den Kreis der Atommächte aufgenommen wurde, während Pakistan mehr oder weniger als "Schurkenstaat" bezeichnet wurde. So macht man sich Freunde. Auch findet man es in Pakistan ganz bestimmt richtig toll, dass Indien jetzt mit Macht hochgepäppelt wird, damit die USA in dem Gebiet ein nukleares Gegengewicht haben. Wie war das noch mit dem Kaschmir-Konflikt? War es nicht so, dass dieser Konflikt als der möglichen Auslöser eines Atomkrieges der Neuzeit ganz heiß gehandelt wird?
Pakistan wird sich deshalb ganz sicher nicht an die USA anlehnen und an genau dem Westen orientieren, der dem Erbfeind die Eier schaukelt. Eher wird man auch dort nach Alternativen suchen. Das weiß man in Russland. Auch in China weiß man das. Überall in Asien hat man Angst vor radikalen Islamisten, besonders vor den Taliban. In Russland aus Erfahrung, in China aus anderen Gründen. Wenn die Regierung in Kabul stürzt, dann wird Russland mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Norden Afghanistans abriegeln und China wird bestimmt auch keine Einladungskarten verschicken.
Während sich die westliche Welt zwar um Afghanistan kümmert, sich aber in erster Linie darauf konzentriert zu fordern, dass die eigenen Truppen da abgezogen werden, hat Russland es geschafft, einige bemerkenswerte Koalitionen zu schmieden. Durch das Gewähren der Unabhängigkeit gelang es zum Beispiel, Tschetschnien und anderen Regionen fester auf die eigene Seite zu ziehen, als es vorher jemals der Fall war und konnte so nicht nur die eigenen militärischen Operationen nahezu vollständig beenden, sondern auch die Nationalisten auf die eigene Seite ziehen.
Während Russland seine medienwirksame Befriedung in Georgien abhielt, wurde von vielen vollkommen übersehen, dass Russland gerade erst in Kasachstan mit den dort heimischen Truppen ein internationales Manöver abgehalten hat - ohne Zweifel ein Zeichen besonderer Nähe zueinander - und russlandnahe Regierungskreise im Kaukasus verkündeten, man habe in Tschetschenien die militante radikalislamische Gruppe "Bulgarischer Jamaat" in Bashkiria, der Zentralregion Tschetscheniens, ausgehoben. Das von Moslems dominierte Bashkiria hatte man im Westen eher nicht als Brutstätte von Extremisten auf dem Radar, aber das Signal an die eigenen Leute und die Bevölkerung in der Region ist mit Sicherheit verstanden worden. Auch ist hier bei uns der Trubel in Tatarastan völlig untergegangen.
Um so deutlicher wird das erfolgreiche taktieren Russlands durch den
Zusammenschluss von Russland, Kasachstan, Usbekistan, Tajikistan und Kirgisistans in einem militärischen Bündnis, das vor wenigen Tagen bekannt gegeben wurde. Dieses Zentralasiatische Bündnis soll die Interessen aller beteiligten Staaten in der Region schützen, hieß es in der offiziellen Verlautbarung.
Russland ist sich sehr wohl darüber bewusst, welche Auswirkungen ein Erfolg der al Qaeda für Russland und damit auch für den gesamten asiatischen Raum hätte. Nicht nur die Gefahr des Terrorismus, Anschläge und andere Gewalttaten, ist der russischen Führung überaus klar. Es sind insbesondere die wirtschaftlichen Implikationen, die ein solcher Erfolg mit sich brächte, die den Russen mit Sicherheit einiges Kopfzerbrechen bereiten.
Vor diesem Hintergrund muss man das zunehmende Engagement Russlands in Asien verstehen und auch die zunehmende kooperation auf militärischer Ebene. Die Eliten Asiens sind sich der Situation nur allzu bewusst. China ist noch nicht so weit, als dass es auf internationaler Ebene die militärische Führung übernehmen könnte. Russland hingegen hat die Erfahrung und auch Infrastruktur, Wissen, Leute und so weiter. Für die asiatischen Staaten ist deshalb Russland eher ein naheliegender Bündnispartner als der Westen.
Russland dürfte zu dem Entschluss gekommen sein, dass die Anstrengungen des Westens in Afghanistan und Pakistan in den letzten Zügen liegen. Alle daran beteiligten Staaten bekommen kalte Füße und deren Bevölkerungen fehlt es überwiegend an jeglichem Verständnis für die Situation und die sich anbahnenden Folgen. Langfristig scheint die russische Führung daher vom Zusammenbruch der Regierung Karzai auszugehen und damit von einem Sieg der Taliban. Daher wird Russland auch klar sein, dass es vollkommen egal ist, ob man mit der Nato jetzt zusammenarbeitet oder nicht und deshalb spielt auch der Versorgungskorridor durch Russland am Ende keine Rolle.
Bemerkenswert ist deshalb besonders, wie wenig darüber zu hören ist, wie sich das Verhältnis zwischen
Russland und China entwickelt. Wenn sich Russland und China in einem gemeinsamen Militärbündnis vereinigen, dann hat die Nato mit einem Schlag einen neuen "Ostblock". Dieses neue Bündnis dürfte allerdings um einiges wuchtiger ausfallen, als es der Ostblock des Kalten Krieges je gewesen ist.
Verhindern kann der Westen das nicht wirklich, nur bremsen und beeinflussen. Eventuell darf der Westen ja sogar mitspielen in dem Club. Das klappt allerdings nur dann, wenn das Engagement in der Region erfolgreich verläuft. Nur wenn der Westen bei den Taliban und im Kashmir Erfolg hat, wird der Westen in Asien auch als brauchbarer militärischer Bündnispartner verstanden werden. Scheitert der Westen, ist das Thema durch und wir sind 'raus.
Ob wir uns das leisten können, lasse ich mal offen.