Samstag, 10. Mai 2008

Nachwuchs Unleashed

Abiturienten auf dem Pferdemarkt in Oldenburg 2008Selbstverständlich kann man über die körperlichen wie geistigen Zustände der nachwachsenden Generationen lange und ausufernde Diskussionen führen und es so seinen eigenen Altvorderen gleichtun. Selbstverständlich muss man hin und wieder auch mal eingestehen, dass genau diese Diskussion eher auf Neid als auf Fakten basiert und manchmal muss man sogar eingestehen, dass man jenen, die da nachwachsen, unterlegen ist.

Wie gesagt: Manchmal. Vor dem Hintergrund, dass empirische Feldstudien das Grauen in seiner ganzen Pracht erst so richtig erfahrbar machen, hatte ich gestern das zweifelhafte Vergnügen, unversehens in die "Abiturfeiern" der hiesigen Gymnasien zu geraten. Ich weiß selber, wie gehässig es ist, abfällig über soziale Randgruppen zu sprechen, aber in Anbetracht jener Katastrophen bekam ich einfach nur Angst.

Mal so ganz beiläufig gefragt: Was unterscheidet erfahrene Kampftrinker preisgünstigster hochprozentiger Alkoholiker von frischabiturienten? Nicht viel, aber zumindest eins: Erfahrung. Wer im Umgang mit 5 Liter Kanistern Lambrusco und Aldis Rache geübt ist und auch sonst den Tag gerne mit einem tiefen Zug klarer Flüssigkeit beginnt, die den Namen eines russischen Präsidenten trägt, der weiß, dass es eine unglaublich dämliche Idee ist, in der prallen Mittagssone, bei 25°C im Schatten, Literweise eben jenes Zeug in sich hinein zu schütten.

Unsere offensichtlich völlig unerfahrenen und zum Teil dramatisch untergewichtigen Jungster wussten das gestern offenbar noch nicht, denn sie taten genau das: In prallster Mittagssonne schütteten sie sich jede Menge billigsten Fusel in den Hals. Das erklärt zumindest zum Teil, warum heute ein überraschend geringer Prozentsatz eben jener Altersgruppe in freier Wildbahn zu bewundern ist.

Natürlich gibt es mehrere Orte, an denen sich traditionell die Heranwachsenden in Großgruppen besaufen, sobald das Wetter gut und der Grund irgendwie ausreichend ist. Darum war ich auch gar nicht überrascht, dass auch im Schlosspark eine beinahe unüberschaubare Horde versuchte, gemeinschaftlich den Rekord im Massenkonsum beliebiger Rauschmittel zu brechen. Wie viele der Anwesenden sich bei dieser Gelegenheit von den Resten des ohnehin schon nur rudimentär vorhandenen Gehirns befreiten, bleibt Gegenstand der Spekulation, ich vermute jedoch, dass es nicht wenige waren.

Abiturienten im Schlossgarten Oldenburg 2008Die Luft war erfüllt von einer Melange verschiedenster Düfte, viele davon eindeutig nachwachsenden Rohstoffen pharmakologisch aktiver Substanzen zuzuordnen. Es wurde sogar hier und da gegrillt. Genau machte mir Sorgen, denn es roch eindeutig stark nach schmorendem Plastik. Der Grund war auch bald ausgemacht: Jemand hatte im Anflug hinreißedner Genialität ein Paket Würstchen auf den Grill geworfen und der langsam zunehmende Gestank kündete eindrucksvoll davon, warum auf den Klarsichtkondomen mancher Aufbackware zu lesen steht: "Folie vor Zubereitung entfernen."

Es gab so viele heranwachsende menschliche Katastrophen zu sehen, dass es mir schwer fällt, mich an jede einzelne zu erinnern. Über die meisten senkt mein Gedächtnis gnädig den Vorhang des Vergessens. Einige Erinnerungen werden mich allerdings für lange Zeit begleiten, befürchte ich. Schön zu wissen, dass ich mit meinen Erlebnissen und dem damit verbundenen Grauen nicht alleine bin. Inmitten der Horden der sich besaufenden und in die Büsche kotzenden Nachwuchsbildungselite standen hilflos und sehr sehr einsam vier heranwachsende, die eindeutig nichts, aber wirklich gar nichts mit den sie umgebenden Junkies verband.

Eindeutig waren sie als irgendwie dem Migrationshintergrund verbunden zu erkennen. Ihr Outfit entsprach dem derzeit in jenen Kreisen üblichen Klischees. Und zwar allen. Gleichzeitig. Inklusive Baseballcaps aus Plastik, viel zu klein und nur durch angetrocknetes Haargel auf dem Kopf gehalten. Diese vier taten mir wirklich leid. Hilfloses Entsetzen war ihren Mienen abzulesen. Sie wussten, dass dies eigentlich ihr angestammter Paradeplatz sein sollte. Eigentlich sollten sie diejenigen sein, die hier Aufsehen und Aufmerksamkeit erregen und durch ihre Andersartigkeit provozieren sollten.

Heute jedoch sahen sie, wahrscheinlich zum ersten und gleichzeitig letzten Mal in ihrem Leben, wie hoch die Quote Ihresgleichen im Vergleich zu "den anderen" tatsächlich war. Nirgends war irgendjemand zu sehen, der ihnen auch nur ansatzweise ähnlich war und was wohl für das eigene Ego noch viel schlimmer war: Niemand, absolut gar keiner interessierte sich auch nur einen gepflegten Scheiß dafür, dass die vier gestriegelten Bubies eigentlich Fußball spielen wollten.

Die Gesellschaft ließ ihnen genau jenes Maß an Aufmerksamkeit zukommen, dass sie wahrscheinlich auch nach Abschluss ihrer Adoleszenz erleiden werden, nämlich gar keine. Überhaupt keine. Nada. Null. So standen die vier hilflos und überwältigt inmitten des sich um sie herum ausbreitenden Chaos und hielten sich abwechselnd panisch am mitgebrachten Fußball fest. Ich werde nie erfahren, ob es die Faszination oder nackte Angst war, die sie an ihrem Platz fesselte, aber beides dürfte gleichermaßen wahrscheinlich sein.

Egal wie. Der Tag wollte mit einem privaten Grillfest beendet werden, darum blieb es bei dem insgesamt sehr kurzen, aber dennoch sehr beeindruckenden Exkurs in die zukünftige Generationen von Akademikern - Ich bezweifle, dass irgendjemand mein stummes Gebet erhörte und diese einmalige Chance zur Bereinigung des Genpools genutzt hat.

Andererseits berichtet die Tagesschau, dass gestern der 82jährige Seniorchef der "Europa-Schule Dr. Obermayr" in Wiesbaden irgendwie von meinem Stoßgebet gewusst haben muss. Der demonstrierte nämlich an eben jener Grundschule eindrucksvoll Geschichtsunterricht zum Anfassen. Mit originalen Uniformteilen, Silvesterknallern und allem drum und dran erschreckte er die Kinder mit einer wohl etwas zu lebensechten Darstellung des Endes des Zweiten Weltkrieges. Die Kinder flüchteten massenweise panisch vor der Darstellung und erst wütende Proteste der Eltern beendeten dieses Experiment "moderner Mitmachpädagogik".

Vielleicht besteht doch noch Hoffnung.

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